Nachkriegszeit in Aue/Erzgebirge

  • Hallo Wissende, :help:


    ich habe ein gewaltiges Problem. Nach Erzählungen meiner großmutter wurde mein Opa nach dem 2. WK "abgeholt". Keiner weiß, ob von den Russen oder den Kommunisten, auch weiß ich die Zeit nicht genau. Als mich das alles zu interessieren begann, war meine Oma schon tot und meine große Schwester kann sich an nichts erinnern.


    Kann mir jemand sagen, wer zu dieser Zeit (wahrscheinlich nachdem die Amis weg waren) die Leitung hatte in Aue und wo die Festgenommenen hingebracht wurden? Mein Opa war damals Arbeitsfrontangestellter, was immer das auch war. Die Oma hatte nach einer Zeit Uhr, Brieftasche usw. erhalten :?:


    MfG


    Hinna65

  • Guten Tag!!



    Auch bei mir ist so ein aehnlicher Fall....der Adoptivsohn (Name noch unbekannt fuer mich) eines Bruders meiner Oma wurde in Riesa erschlagen von den Kommunisten. Dies erzaehlte Oma mir, aber konnte keine genauen Angaben geben.


    Wo kann man sich wenden, um etwas herauzubekommen?


    Danke!

  • hallo hinna,


    da dein großvater aus dem osten deutschlands stammt, dürften es die russen gewesen sein, die ihn abgeholt haben, wofür auch spricht, dass er nicht wiedergekehrt ist und auch sonst keine nachricht über seinen verbleib eingegangen ist. englische und amerikanische kriegsgefangengeschaft ging deutlich zivilisierter vonstatten, als die bei den russen. immerhin hat deine großmutter noch gegenstände zurück erhalten, meiner urgroßmutter wurde auf die anfrage nach dem verbleib ihres mannes ganz klar gesagt, dass sie besser nicht wieder nachfragen solle, weil dies ihrer gesundheit nicht zuträglich wäre :huh: .


    hast du mal bei der kriegsgräberfürsorge, beim drk und bei wast angefragt? dies wäre in einem solchen fall die ersten anlaufstellen. sollten dort keine informationen vorliegen kann man noch versuchen bei den initiativgruppen ehemaliger gefangener der nkwd-lager nachzufragen. ansonsten könnten eventuell in moskau unterlagen abgerufen werden. das habe ich aber auch noch nicht versucht, kenne mich mit den möglichkeiten einer anfrage und den bedingungen nicht aus.


    möglicherweise wird der name deines großvaters in ähnlicher schreibweise aufgeführt, da die namen der nkwd-häftlinge in der regel in kyrillischer schrift notiert wurden, was bei der rückübersetzung in lateinische buchstaben häufig zu fehlern führt. das wäre vielleicht hilfreich dies bei der suche im hinterkopf zu behalten und sich nicht an der eigentlichen schreibweise festzubeissen.


    hier noch ein link zu den nkwd-lagern (bzw. sowjetische speziallager): http://de.wikipedia.org/wiki/Speziallager


    grüssle


    lexxus


    ps: mein urgroßvater war in ketschendorf (speziallager nr. 5) und ist dort verstorben. habe mich sehr intensiv mit dem lager befasst. wenn ihr näheres zu diesem lager wissen wollt könnt ihr mir gern ne pn schreiben.

  • Hallo,
    oje, eigentlich hat lexxus alles Wichtige gesagt und die möglichen Suchtipps gegeben.
    Ich könnte nur die Möglichkeiten einer Nachfrage in Moskau erläutern. Wie auch immer: Ohne ein Mehr an Fakten wird wohl in jedem Fall die Suche nicht nur schwierig, sondern hat auch nur minimale, um nicht zu sagen keine Aussicht auf Erfolg! hinnas Großvater war Angehöriger der NS-Arbeitsfront, da ist er wohl kaum Kriegsgefangener gewesen, womöglich hat man ihn einfach zum "Nazi" erklärt und in einem NKWD-Lager auf deutschem Boden ermordet, auch könnte er unter den unmenschlichen Haftbedingungen verstorben sein. Die deutsche Gründlichkeit erklärt wohl, warum die Großmutter seine persönlichen Sachen erhielt. Auch wußte man ja offenbar, wo und wem man diese zurückgeben mußte. So oder so viele Fragen für eine gezielte Suche.
    Und bevor man nicht genau weiß, was passiert ist, sollte man Kommunisten ebenso in Anführungszeichen setzen wie ich hier "Nazi" ... :!:
    Beste Grüße
    Detlef

  • Hallo Lexxus, Hallo Detlef,


    vielen, vielen Dank für Eure Informationen. Von diesem Lager hatte ich noch nichts gewußt und über Moskau schon nachgedacht. Der Opa war damals schon 60 Jahre alt, also nehme ich an, dass er eher die Strapazen nicht überlebt hat als das er nach Russland gekommen ist. Aue ist auch nicht so groß, dass man schon wußte, wem die Sachen zu bringen waren. Aber warum wurde kein Totenschein ausgestellt? Dann wäre zumindest die Suche nach dem wann und wo erspart geblieben. Das warum finde ich auch noch unklar.


    Beim DRK, WAST und Kriegsgräberfürsorge habe ich schon nachgefragt. Jetzt läuft die Anfrage bei der Stasi noch.


    Wenn ich mehr weiß, setzte ich mich nochmal ins Forum.


    Danke und liebe Grüße Corinna

  • hallo hinna,


    für einfache kriesgefangene in nkwd-lagern gab es in der regel keine gerichtsurteile. wenn, wie detlef vermutet, dein großvater für die mehr gewesen sein könnte, als ein einfacher kriegsgefangener, dann hätte es auch ein gerichtsurteil geben müssen, welches deine großmutter bekommen hätte. dies wäre vielleicht ein ansatzpunkt, wobei ich nicht weiss, wie lange solche akten aufbewahrt werden.


    du scheibst, du hast eine anfrage bei der stasi gestellt. meinst du damit die birthler behörde? ich fürchte, da wird sich nicht viel ergeben, denn das mínisterium für staatsicherheit wurde erst 1950 gegründet. ich nehme mal an, dass dein großvater deutlich früher verhaftet wurde.


    da die standartquellen bisher nicht viel hergegeben haben wäre es vielleicht hilfreich rauszukriegen, wohin die leute aus der gegend um aue inhaftiert wurden. räumlich am nächsten dürfte bautzen gelegen haben. http://www.stsg.de/main/bautzen/ueberblick/einfuehrung/


    da du schreibst, dass dein großvater zum zeitpunkt der inhaftierung bereits 60 jahre alt war, spräche einiges dafür, dass er die haftbedingungen nicht überlebt hat. diese waren denen in den kz´s nicht unähnlich, nur mit dem unterschied, dass es keine massentötungen gegeben hat und die häftlinge keine zwangsarbeit leisten mussten. viele der häftlinge der nkwd-lager starben an seuchen wie typhus und ruhr. häufig wurden sie in massengräbern verscharrt.


    vielleicht kannst du mal den nachnamen deines großvaters aufschreiben, dann könnte ich mal versuchen auszuknobeln, welche möglichkeiten sich ergeben, wenn man den namen in kyrillische buchstaben und dann wieder zurück in lateinische dekodiert.


    grüssle


    lexxus

  • Ja Lexxus,


    wir haben die Anfrage gemacht, weil wir nicht genau wußten wann er gestorben ist. Vielleicht hatte die Behörde den Fall übernommen. Aber da ich jetzt lese, dass im Grunde nur eine Denunziation reichte, um inhaftiert zu werden, gehe ich davon aus, dass er durch diese Haftbedingungen zu Grunde ging.


    Mein Großvater hieß Paul Carl Ullmann, *24.07.1885 in Eibenstock.


    Gruß Corinna

  • hallo hinna,


    aus dem namen kann man nicht viele rückübersetzungsfehler machen, aber zwei möglichkeiten kommen in betracht:


    paul carl/karl ullmann/uhlmann .


    den vdk habe ich mit der uhlmann-variante bereits abgefragt, ohne ergebnis. bei wast und drk nehme ich an, dass sie mögliche dekodierungsfehler eh berücksichtigen.


    soweit ich weiss, wurden nicht von jedem häftling gründlich die daten aufgenommen. wann wurde denn dein großvater abgeholt? (monat?)


    grüssle


    lexxus

  • Hallo Hinna65
    So einfach „von den Russen abgeholt“ würde so nicht stehe lassen. In der Gegend um Aue gab es im Mai 1945 eine besondere Situation. Diese Gegend war im Mai von keinem der alliierten Sieger besitzt worden. Im Osten rückten die Russen nur bis Annaberg vor und im Westen machte die US Army im Raum Aue - Schneeberg halt. So gab es 42 Tage ein unbesetztes Gebiet.
    Die „Regierung“ wurde aber von Kommunisten bis zum Einmarsch der Russen übernommen.
    Sollte damals Aue auch zum umbesetzten Gebiet dazu gehört haben, und sollte dein Opa in dieser Zeit bis Juni 1945 verschleppt worden sein, so wird es schwierig ihn in einem Lager der Russen zu finden. Er könnte auch einfach umgebracht worden sein und irgendwo vergraben. Sicherlich wurde in dieser Zeit auch so mache „offene Rechnung“ beglichen
    Ob Aue zum „umbesetzen Gebiet“ gehörte kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen.

  • Hallo Corinna, es ist schwer und bitter, aber vielleicht nicht zu ändern. Letzte Klarheit wirst Du wohl nicht bekommen.
    Richtig ist, dass Aue wie die "Freie Republik Schwarzenberg" im Mai - Juni 1945 zum unbesetzten Gebiet gehörte, in denen Aktionsausschüsse "regierten", denen nicht nur Kommunisten angehörten :!:
    Diese wurden sofort nach der Besetzung durch die Rote Armee zwischen dem 9. und 14. Juli 1945 aufgelöst. Wenn Dein Großvater also schon 60 Jahre alt war, als Arbeitfrontmann schuften musste und nicht der Wehrmacht oder dem Volkssturm angehört hat, dann war er auch kein regulärer Kriegsgefangener. Sicher hat ihn jemand als NS-Gefolgsmann denunziert und die Russen haben ihn inhaftiert so wie Stalins Schergen auch schon zehn Jahre zuvor eigene Landsleute und deutsche Emigranten einfach abgeholt haben und man muss bezweifeln, dass von ihnen jeder ein "ordentliches" Gerichtsurteil zur Verschickung ins Zwangslager bekam.
    Sicherlich war Dein Großvater den Umständen nach damals nicht bei bester Gesundheit, litt Hunger, war völlig verängstigt und kam u. U. schon im Keller der Auer Militäradministration um und wurde garnicht deportiert.
    So oder so: Ein elender Tod in einer elenden Zeit! Und heute passiert es wieder, nur eben nicht in Europa ...


    Alles Gute
    Detlef

  • Die "Deutsche Arbeitsfront" war die damalige Gewerkschaft, in der nicht nur die "Arbeiter der Stirn und der Faust" sondern auch die "Betriebsführer" erfasst wurden. Ein Betrieb dessen Belegschaft zu 100% in der Arbeitsfront war, bekam die "Goldene Fahne" der Arbeitsfront und durfte sich nationalsozialistischer Musterbetrieb nennen.
    Gruß Krüll

  • Ich möchte allen recht herzlichst danken, die sich an diesem Thema beteiligt haben.


    Wann er abgeführt wurde kann ich nicht genau sagen, meine Oma war gestorben als ich 9 Jahre war und da hat man noch nicht gefragt. Ich weiß auch, dass Aue diese Besonderheit zwischen Mai und Juni 1945 hatte. Darum ist es ja so schwer zu sagen, wer ihn abgeholte. Wann die Oma seine persönlichen Sachen zurückbekam, weiß ich auch nicht, dann könnte man den Todeszeitraum eingrenzen. Ich glaube aber nicht, dass die Amis den mitgenommen haben. Kleine Racheakte sind eher meine Vermutung.


    Es wäre schon schön zu wissen, wann er gestorben ist, dann kann ich ihn endlich für tot erklären lassen.


    Ein schönes Restwochenende


    Corinna

  • Hallo,


    Aue wurde recht schnell nach der "Besonderheit" von den Russen besetzt, sie hatten auch höchstes Interesse an diesem Gebiet - es ging um den Uranabbau, der für die Atomindustrie von höchster Bedeutung war. So entstand in Aue die SAG Wismut.
    Ich hätte jetzt fast vermutet, dass man auf diese Weise unter dem Vorwand einer NS-Vergangenheit, Arbeitskräfte "requiriert" hat, jedoch, wenn man der Geschichte der Wismut in der Wiki glauben schenkt, so war dem nicht so. http://de.wikipedia.org/wiki/S…n_von_Erkundung_und_Abbau
    Dennoch würde ich vielleicht auch diese Möglichkeit des Verschwindens nicht ganz außer acht lassen. Allerdings ist die Möglichkeit an russische Dokumente zu kommen, sicher äußerst gering.


    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • An Alle, die sich an dieser Diskussion beteiligt hatten!


    Gestern kam ein Schreiben vom russ. Archiv Moskau, in dem wurde mitgeteilt , dass Paul Ullmann am 27.07.1945 von Bautzen nach Tost transportiert wurde. Er kam am 04.08.1945 in Tost an und starb am 31.08.1945 an der Ruhr. Die letzten Daten habe ich übrigens von einer Dame, die die Transportlisten und Totenlisten der ehemaligen Häftlinge besitzt.


    Also wessen Großvater sich ebenfalls in diesem Lager befunden hatte, kann sich an sie wenden.


    www.uokg.de/Text2/Mit-Tost01.htm


    LG Corinna