Schwedische Momentaufnahme
Wissenschaftler erschließen 300 Jahre altes Kartenwerk der Provinz Pommern
Sie gehören zu den wertvollsten Dokumenten im Vorpommerschen Landesarchiv Greifswald:
In den Kartenmagazinen am Nexö-Platz lagern 1455 Matrikelkarten -prachtvoll kolorierte Landkarten der einst schwedischen Provinz Pommern.
Dazu kommen 74 Beschreibungsbände mit mehr als 30 000 Seiten, die eine einzigartige Momentaufnahme der Region vor mehr als 300 Jahren bieten.
„Wir haben es hier mit dem weltweit ersten flächendeckenden Kataster eines geschlossenen Territoriums zu tun, das seinerzeit mit sehr hoher Genauigkeit erstellt wurde", sagt Archivdirektor Martin Schoebel.
Im Jahre 1690 hatte der schwedische König Karl XL eine Landmesserkommission zur Bestandsaufnahme in den neuen schwedischen Landesteil Pommern entsandt, um eine Grundlage für die künftige Besteuerung zu schaffen.
17 Jahre lang reisten die Landvermesser mit Stativen und Kartentischen von einem Dorf zum anderen, befragten Besitzer, Pächter, Bauern und Pastoren und fertigten Skizzen und Urkunden an.
In ihren Vermerken beschrieben die königlichen Beamten Zustand und Nutzung von Äckern, Weiden und Wäldern, berichteten über Viehzucht, Jagd und Fischerei, notierten Abgabepflichten und Besitzverhältnisse.
Lange Zeit hatte sich kaum jemand für das gut erhalten gebliebene großformatige Kartenwerk interessiert.
Doch seit einigen Jahren erkennen nicht nur Ortschronisten und Ahnenforscher, sondern auch die Wissenschaftler den Wert der einmaligen Dokumentation.
Die von 1692 bis 1709 erstellte Landesaufnahme sei eine wichtige Quelle zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sagt Schoebel.
Geografen könnten aus der Dokumentation wichtige Aussagen über die Entwicklung der Kulturlandschaft gewinnen.
Ökologen nutzten das Material als Ausgangsbasis für Renaturierungsprojekte, indem sie sich zum Beispiel bei der Wiedervernässung von Mooren oder der Aufforstung von Wäldern an historischen Gegebenheiten orientierten.
Und sogar im Küstenschutz könnten die historischen
Karten wichtige Hinweise für die richtige Positionierung neuer Deiche geben.
Um das erste deutsche Kataster künftig noch mehr Nutzern zugänglich zu machen, haben jetzt Wissenschaftler der Universitäten Rostock und Greifswald zusammen mit der Historischen Kommission Pommern damit begonnen, das gesamte Archivmaterial digital aufzubereiten. Exemplarisch erstellten sie zunächst eine CD für die Regionen Jasmund auf der Insel Rügen und Lieper Winkel auf Usedom, von der nicht nur die Originalkarten und -texte abgerufen werden können. Studenten haben auch die Beschreibungen der Landvermesser editiert, übersetzt und mit entsprechenden Vermerken und Verweisen verlinkt.
Seit Jahresbeginn fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Erstellung einer internetfähigen Dokumentation mit rund 280 000 Euro.
„Wir beginnen mit der Region rund um Ludwigsburg", sagt Archivleiter Schoebel.
Dort befinde sich nicht nur das letzte noch erhalten gebliebene Schloss der pommerschen Herzöge.
An der Region ließen sich auch besonders gut die Wechselbeziehung zwischen Kleinstadt und ländlichem Raum untersuchen.
(ddp)
Im Internet unter: geogreif.uni-greifswald.de/geogreif
(MOZ vom 16.02.2008)