Zur Verwendung von "wohlgeboren" und "hochwohlgeboren"

  • In Anlehnung an das Thema "Briefkorrespondenz damals ..." will ich euch meine bescheidene Erkenntnis nicht vorenthalten:


    Was genau ist der Unterschied zwischen "wohlgeboren" und "hochwohlgeboren"? Wem bzw. welchem Stand steht welche Anrede zu?


    Laut www.peter-hug.ch war Hochwohlgeboren eine "schriftliche Anrede, welche ursprünglich nur dem hohen Adel, später aber dem gesamten Adel und solchen höhern Beamten zugestanden wurde, welche man durch ihren Rang
    als dem Adel gleichstehend ansah."


    Wikipedia unterscheidet zwischen Wohlgeboren für bürgerliche Honoratioren, Hochgeboren für Grafen, Freiherren oder Barone aus dem Uradel sowie Hochwohlgeboren ebenfalls für Freiherren und Barone, später auch für Angehörige des niederen Adels.


    Die Website "Deutsche Monarchie" bietet folgende Information: "Hochwohlgeboren (veraltet Hoch- und Wohlgeboren), Prädikat der Freiherren, Barone, Ritter und Edeln und der unbetitelten Adligen; ferner in Preußen der Räte bis zur vierten Rangklasse. (S. auch Offizier.) – Konventionell gibt man Hochwohlgeboren heute auch sonst jedem, der zur Gesellschaft gerechnet werden darf." sowie "Wohlgeboren, jetzt das geringste Prädikat, das aber hier und da noch, z. B. in österreich, auch adligen Personen gegenüber angewendet wird."



    Aus eigener Ahnen- und Familienforschung kann ich hierzu vier Beispiele anführen:


    1. Einem Arzt aus meinem weitverzweigten Familienstamm wurden, für seine fast vierzigjährigen Verdienste um das Medizin- und Gesundheitswesen in seinem Kreis, als Königlicher Kreisarzt, Geheimer Medicinal-Rat und Dr.med. mit der Anrede "Hochwohlgeboren", die Ehrenbürgerrechte der Stadt verliehen (1907). - Zumindest der Rang-Ordnung im Kurfürstentum Hessen vom 20.04.1854 (eine andere habe ich leider nicht zur Hand) rangierte der Geheime Medicinal-Rat in der der vierten Rangklasse.


    2. Ein direkter Vorfahre von mir schreibt im Jahre 1872 als "Königlicher Kreisbaumeister ... wohlgeboren zu ..." an den "Königlichen Ober-Präsidenten Herrn Freiherr von ... hochwohlgeboren zu ...". - Als Baumeister gehört er nur zur siebenten der acht Rangklassen.


    3. Ein Bau-Eleve (sozusagen Auszubildender) aus meinem weitverzweigten Familienstamm schreibt 1846 an seinen Vorgesetzten den "Wohlgeborenen, Hochzuverehrenden Herrn Landbaumeister".


    4. Meine Altmutter (Ur-Urgroßmutter), von Beruf Lehrerin, wurde von ihren Schülern um die Jahrhundertwende als "Fräulein Maria ... Hochwohlgeboren" angeschrieben.



    In diesem Sinne: Unterthänigst, wohlgeboren Gregoriwitsch ;)

  • Hallo Gregoriwitsch,


    ein hübsches Thema, in das mit Sicherheit niemand "Ordnung" bringen kann :D . Insofern kann man sich auch den Glauben an alle Definitionsversuche in Nachschlagewerken sparen, sondern es eher von der heiteren Seite betrachten.


    Hier also eine etwas kurzweilige Lektüre einiger Seiten in diesem Buch (ab S. 316) ;) . Nach einem etwas jämmerlichen Versuch des Ordnungschaffens, in dem nur noch diejenigen Titel (in Wirklichkeit waren es Prädikate) verwendet werden solten, die auch tatsächlich verliehen wurden, schließt sich eine Frage an meinen Stammgroßvater Seifried Leonhard Breuner an, der sich bitter beklagte, dass man ihn in einem Schreiben nicht richtig anredete. Die Frage kann man sicher auch heute noch nicht mit absoluter Sicherheit beantworten. Tatsache ist, dass sein Vater Seyfried Christoph Breuner im Jahre 1624 in den Grafenstand erhoben wurde und die Erlaubnis erhielt, das Prädikatl "Hoch- und Wohlgeboren" zu führen. Der Grafenstand war natürlich erblich, ging auch auf seinen 1596 geborenen Sohn Seifried Leonhard über. Wie es aber um das mit dem Amt als Niederösterreichischer Statthalter verbundene Prädikat "Hoch- und Wohlgeboren" steht, ist dabei offen. Der bis dahin freiherrlichen Uradelsfamilie war 1620 das Prädikat "Wohlgeboren" mit der Erlaubnis zur Wappenvermehrung verliehen worden. Seifried Leonhard folgte seinem Vater auch später nicht in dieses Amt. Ich denke, dass Grundacker von Lichtenstein bei der Beantwortung des Briefes genau wusste, dass sein "freundlicher Seitenhieb" richtig schön sitzen wird ;) .


    Sehr schön ist dort auch Grundacker v. Lichtensteins Vergleich mit seinem Hund, der macht, was er will, wenn er nicht gleich richtig erzogen wird :D .


    Viele Grüße
    Hina


    PS: Wie der Zufall es so will, kaum habe ich den Beitrag geschrieben, habe ich eben in einem Band der Deutschen Adelsproben das Dekret des Kaiser Ferdinand II. vom 25.4.1624 gefunden, in dem eindeutig klargestellt wurde, dass das Prädikat "Hoch- und Wohlgeboren" auch an Seyfried Christoph Breuners ehelichen Leibeserben geht und zwar direkt mit der Verleihung des Grafenstandes.

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • Das finde ich sehr interessant, dass sich -trotz gelegentlicher Regelungen- kein eindeutiger Konsens finden lässt. Ich staune selbst manchmal über erhaltene Briefe, in denen meine bürgerlichen Vorfahren als "hochwohlgeboren" angeschrieben wurden: Ich nahm bisher immer an, daß sich diese "Ehrung" auf den Pastorenstand bezog. Hat zwar mit der Geburt nichts zu tun, ist aber angesehener gewesen als Otto Normalverbraucher.

    QVEM QVAERIS? ("Wen suchst Du?"- Johannes 20,15)

  • Hier noch eine Kostprobe.
    Auch Könige und Kaiser hatten bei dem Thema nicht immer den klaren Durchblick ;) .
    Wie sollte dann nur das Volk jemanden richtig anreden?
    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • Zitat

    ein hübsches Thema, in das mit Sicherheit niemand "Ordnung" bringen kann


    Eine genaue Auflistung wer mit welcher Anrede "wohlgeboren oder auch hochwohlgeboren" anzuschreiben ist findet man zum Beispiel auch im Bayerischem Jahrbuch Kalender von 1896.
    An den König: Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König
    An den Prinz-Regenten: Allerdurchlauchtigster Prinz und Regent.
    An einen anderen Prinzen des königlichen Hauses: Durchlauchtigster Prinz
    An eine Prinzessin des königlichen Hauses: Durchlauchtigste Prinzessin
    An einen Herzog von Bayern: Durchlauchtigster Herzog
    An eine Herzogin: Durchlauchtigste Herzogin
    An einen Prinzen (Prinzessin) mit dem Prädikat Durchlaucht: Durchlauchtigste(r) Prinz (Prinzessin)
    An einen Fürsten, Prinzen mit dem Prädikat "Fürstliche Gnaden: Hochgeborner Fürst (Prinz)
    An einen Grafen mit dem Prädikat "Erlaucht": Erlauchter Graf oder Eure Erlaucht!
    An andere Grafen, an Freiherren, Barone, Herren und Damen mit dem Adelsprädikat "von":
    a) an einen Grafen: Euer Hochgeboren!
    b) sonst: Euer Hochwohlgeboren!
    An den Papst: Allerheiligster Hochwürdiger Vater
    An einen Kardinal-Erzbischof: Hochwürdigster Herr Kardinal!
    An einen Fürst-Erzbischof: Hochwürdiger Herr Fürst Erzbischof!
    An einen Erzbischof (Bischof): Hochwürdiger Erzbischof (Bischof)
    An andere Geistliche: Hochwürdigster Herr
    An eine Dame geistlichen Standes: Hochwürdige Frau (Aebtessin Priorin)
    An höhere Staatsbeamte, Würdenträger, Gelehrte, rechtskundige Bürgermeister etc.: Euer Hochwohlgeboren
    An andere Personen: Euer Wohlgeboren!
    Bei Nichtanwendung des Prädikats Wohlgeboren: (Hoch) Geehrter - (Hoch) Verehrter - (Hoch) Geschätzter Herr...!


    Ihr seht es gab damals auch schon Regeln wo man was anwendete. :D

    viele Grüße
    Ulrich
    suche Volkemer >1720 Pfalz; Elsaß; Lothringen;
    Schmidt in Syrgenstein/Bayern-Schwaben und Lothringen Raum Bitsch > 1720

  • Eine genaue Auflistung wer mit welcher Anrede "wohlgeboren oder auch hochwohlgeboren" anzuschreiben ist


    Noch jemand, der mühsam versuchte, Ordnung zu schaffen. Ob er sein Ziel je erreicht hat oder ob nicht doch wieder jemand beleidigt war ;) :D :?:
    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • Naja Hina,
    diese Anreden sind aus dem Bayerischen Jahrbuch Kalender von 1896, der Verlag war damals Carl Gerbers Herausgeber J. Seiferth und W.Probst. Daran waren weiterhin beteiligt Reichs- Staats- und Gemeindebehörden, Anstaltsverwaltungen und sonstige :D . Das Jahrbuch kam wie der Name schon aussagt jährlich heraus und ist auch für uns Ahnenforscher seeeeeeeehr interessant. Da steht noch mehr drin als nur die Briefanrede an wohl und hochwohlgeborene. Auch die militärische und überhaupt staatliche Gliederung des Königreichs Bayern, und noch viel mehr.

    viele Grüße
    Ulrich
    suche Volkemer >1720 Pfalz; Elsaß; Lothringen;
    Schmidt in Syrgenstein/Bayern-Schwaben und Lothringen Raum Bitsch > 1720

  • Hallo Gregoriwitsch,
    das ist wirklich ein toller Link. Ich habe mich eben köstlich amüsiert über VII. Die Titulatur der Frauen, S. 18. Das hat mich so an Österreich erinnert - Küß die Hand gnä Frau Geheimrat ;) .
    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • Servus !


    Während einer Kooperationsveranstaltung in Österreich wurde ein deutscher Fernsehtechniker von einem österreichischen "Kommerzialrat" als der Herr "Transistorialrat . . . " vorgestellt. Andere Länder - andere Sitten.
    Ob Letzterer sich dadurch geehrt fühlte ist nicht überliefert.


    Gruß, Georg

  • Ich habe mich mal in das verlinkte Buch ein bißchen reingelesen, aber verstehe nur noch Bahnhof. - Bin ich froh, dass "Sehr geehrte/r Frau/Herr ..." heute in 99 % aller Fälle völlig ausreichend ist!