[Frage] Namensänderungen in Ostpreussen

  • Hallo,


    ich habe zwei Fragen an euch :


    • Wenn eine ostpreussische Familie ihren slawisch lautenden Namen auf einen deutsch lautenden Namen änderte, galt das dan nur für diese eine Familie ? Sprich, der Bruder dieser Familie musste einen eigenen Änderungsantrag stellen, wenn er auch einen deutsch lautenden Namen annehmen wollte ? Ich vermute, die Antwort ist ja, und im Falle des Bruders könnten so zwei Familienangehörige unterschiedliche Namen tragen ?
    • Gibt es irgendwo eine Liste solcher Namensänderungen bei aus Ostpreussen stammenden Familien ? Ich meine nicht, die verschiedenen Schreibweisen, sondern solche die komplett geändert wurden ?
    • Wenn ja, wo gibt es solch eine Liste ?
    • Wenn nein, wäre das einen Forumbeitrag wert, der ständig erweitert/kommentiert wird ?

    Viele Grüsse
    Gerd

    Suche Informationen zu den Familien Gawlik/Gawlick aus Dimmernwolka/Kleindimmern und Pfaffendorf, Skrotzki, Soyka in Kobulten/Pfaffendorf und Gorski in Kornau/Olschöwken

    Einmal editiert, zuletzt von GerdFGN ()

  • Hallo Gerd,


    das nachfolgende Beispiel zeigt Dir, dass die Germanisierung slawischer Familiennamen vor allem bei Arbeitsmigranten verbreitet war (besonders bei sog. Ruhrpolen). Hier wurde Wichrowsky zu Wichmann. Die in der alten Heimat gebliebenen Wichrowskys unterlagen nicht zwangsläufig derselben Namensänderung.


    (Zitatanfang)


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    Postkarte von 1915 an meinen Großvater Thomas, der damals noch Wichrowsky hieß (Abbildung: privat)


    Neue Namen für polnische Arbeitsmigranten: Aus Majcrzak wird Mayer






    27. Juni 1901
    „Der Innenminister des Deutschen Reiches weist den
    Regierungspräsidenten in Münster an, bei der Eindeutschung polnischer
    Namen großzügig zu verfahren. Er hofft, dass „Namensänderungen der
    gedachten Art, welche die Verschmelzung des polnischen Elements mit dem
    deutschen zu fördern geeignet sind, von Seiten der Behörden jede
    Unterstützung und Erleichterung erfahren werden. ..“. Obwohl keine
    genauen Zahlen zu ermitteln sind, lassen sich für die Zeit von 1880 bis
    1935 mindestens 30.000 Anträge auf Eindeutschung slawischer Namen im
    Ruhrgebiet nachweisen. Die deutsche Regierung ist an einer
    „Germanisierung“ und Integration der Zuwanderer aus Polen und Masuren
    interessiert.


    Die Vorurteile der deutschen Bevölkerung gegen alles vermeintlich
    „Polnische“ veranlasst auch deutsche Zuwanderer aus den preußischen
    Ostprovinzen „slawisch“ klingende Namen abzulegen. Die Namensänderung
    soll Schwierigkeiten mit Behörden und Diskriminierung der Kinder in der
    Schule verhindern helfen. Nicht selten wählen Träger polnischer Namen
    gängige deutsche Familiennamen wie Müller, Meier oder Schulze. Da diese
    Namen zur Kennzeichnung wenig geeignet sind, werden die Behörden
    angewiesen, auf Namensänderungen anderer Art hinzuwirken. So entstehen
    um die Jahrhundertwende lautlich vereinfachte Familiennamen, deren
    slawischer Ursprung noch erkennbar ist:


    Aus Majcrzak wird Mayer; Gresch statt Grzesch; Maischach statt
    Majchrzak; Pizolka statt Piszolka; Friedetzki statt Frydecki; Piecha
    statt Piechaczyk. Weit verbreitet sind Neubildungen mit den Endungen
    -feld oder -berg: So wird zum Beispiel Gizelski zu Giesberg und Janowski
    zu Janfeld.


    Manche neuen Familiennamen sollen nach Angaben der Antragsteller
    Übersetzungen eines slawischen Namens sein: Florczak zu Floren (vom
    Vornamen Florian); Pawlowski zu Paulsen; Prusinowski zu Preußmann;
    Rybarczyk zu Reiber.“ (Quelle: Chronik des Ruhrgebiets, WAZ-Buch,
    Chronik-Verlag in der Hardenberg Kommunikation Verlags- und
    Mediengesellschaft mbH & Co. KG, Dortmund 1987)





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    Ein Ausweis von 1917 meines Großvaters Thomas, der nach der Namensänderung Wichmann hieß (Abbildung: privat)





    Aus Wichrowsky wird Wichmann


    Auch meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus Polen, aus der
    Gegend um Posen (heute: Poznań). Auch heute noch wohnen dort Verwandte
    unserer Familie. In der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert
    kamen meine Vorfahren hierher in das Ruhrgebiet. Mein Großvater Thomas,
    1883 in Bochum geboren, hieß anfangs noch Wichrowsky. Unter Kaiser
    Wilhelm
nutzte auch er die Möglichkeit, seinen Familiennamen
    „eindeutschen“ zu lassen. Aus dem „polnischen Wichrowsky“ wurde der
    „deutsche Wichmann“.


    Klaus Wichmann, Mülheim an der Ruhr, im August 2009
    (Zitatende)
    Gruß
    Detlef

  • Hallo,
    auch ich habe 3 Beispiele in der Familiengeschichte. die Vorfahren stammten aus Masuren und zogen ins Ruhrgebiet.
    Meine Urgroßeltern hießen Pliska, sie wählten den Mädchennamen der Mutter meiner Urgroßmutter und hießen dann Kühnapfel
    Aus Lorkowski wurde Lorkofer
    aus Godlewski wurde Godberg


    Ganz so, wie im Text von Detlef beschrieben.


    Liebe Grüße, jade

    FN Bednarzik, Borutta , Norra, Stoehr , Kreis Ortelsburg
    FN Pliska, Kreis Sensburg
    FN Krause,Kühnapfel, Schaffranneck, Kreis Osterode
    FN Küppers,Ringes, Essen, Krefeld , Veert NRW
    FN Günther in Ober-Mörlen, Kreis Friedberg, Hessen
    FN Meyer in Leopoldshall, Sachsen-Anhalt
    FN Otto,Lange in Weissenfels
    FN Güde,Berg in Jesberg,Hessen
    FN Dietrich,Braun,Golsong, Mueller,Reiss in Kusel, Pfalz
    FN Hildebrand,Levin,Loos in Annaberg-Buchholz, Erzgebirge
    FN Geilert in Döbeln , Sachsen

  • Hallo!


    Bei mir in der Familie gibt es auch so einen Fall um 1920 herum. Erfahren habe ich den neuen Namen nur, weil das auf der Meldekarte der Familie vermerkt war. Hätte sonst lange suchen können.


    Gruß - Petra -

    LG - Petra -


    Das Chaos sei willkommen, die Ordnung hat versagt :S

  • Hallo Gerd,
    ich glaube das kam in fast jeder Familie vor , die vom "Osten" im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung ins Ruhrgebiet zog. Bei mir traf es die Familie Grabowsky, die von Sobbowitz Ende des 19. Jahrhunderts nach Dortmund zog. Ein Teil der Familie änderte ihren Namen in Gerboth.


    Liebe Grüße
    Jutta

    Es ist nicht das Wissen, sondern das Lernen,
    nicht das Besitzen, sondern das Erwerben,
    nicht das Dasein, sondern das Hinkommen,
    was den größten Genuss gewährt.

    Carl Friedrich Gauß


    Suche FN Wittmann und Angeheiratete-FN Hoffmann/ Oberschlesien-FN Naujock /Ostpreußen

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  • Hallo,


    danke für Eure Beispiele und die informativen Originale zu Wichmann.


    Ich möchte noch einmal meine erste Frage wiederholen, ob eine Namensänderung für alle Mitglieder verpflichtend war, oder ob jeder in seiner Wahl frei war :



    • Wenn eine ostpreussische Familie
      ihren slawisch lautenden Namen auf einen deutsch lautenden Namen
      änderte, galt das dan nur für diese eine Familie ? Sprich, der Bruder
      dieser Familie musste einen eigenen Änderungsantrag stellen, wenn er
      auch einen deutsch lautenden Namen annehmen wollte ? Ich vermute, die
      Antwort ist ja, und im Falle des Bruders könnten so zwei
      Familienangehörige unterschiedliche Namen tragen ?

    Ich bin aber auch weiter an Beispielen für Namensänderungen interessiert.


    Viele Grüsse
    Gerd

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  • Hallo Gerd ,
    ich denke jeder musste einen eigenen Antrag stellen. Die Namensänderung kann aber nicht verpflichtend gewesen sein, sonst hätten ja meine Grabowsky in Dortmund sämtlich ihren Namen geändert, haben sie aber nicht.
    Es war damals ja so , dass keine "ausländischen" ( außerhalb Preußens) Arbeitskräfte angeworben werden durften. Außer ins Ruhrgebiet kamen auch viele aus diesen Gebieten z. B. nach Misburg rund um Hannover. Die polnisch stämmigen Personen bzw. Kaschuben u.ä. waren im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung meist katholisch und hatten dann noch einen polnisch klingenden Namen. Sie wurden entsprechend häufig abwertend als "Polaken" bezeichnet. Da kann ich mir gut vorstellen , dass das Angebot seinen Namen ändern zu lassen, gerne angenommen worden ist.


    Liebe Grüße
    Jutta

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  • Hallo Gerd,


    um Deine Frage noch einmal -jetzt aber deutlicher- zu beantworten: Die Namensänderung galt nur für diese eine Familie. Die Namensänderung war ein individueller behördlicher Akt der Einzelperson bzw. des Familienoberhauptes für seine Familie. Dennoch konnte es sein, dass sich z.B. zwei erwachsene polnische Brüder untereinander absprachen und denselben deutschen Namen annahmen.


    Gruß
    Detlef

  • Danke Jutta und Detlev,


    das vermutete ich auch, bin nur noch nicht so lange dabei. Ich fand es überraschend, Vermerke zu finden, in denen diese Namensänderungen festgehalten wurden. So ein Fall war letztens wieder im KB Rheinswein. Und da kam mir de Frage, ob ihr alle diese Namenswechsel irgendwo zentral erfasst - oder ob es immer eine Einzelinitiative bleibt.


    Viele Grüsse
    Gerd

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