Wie waren die Ausreisebedingungen innerhalb Europa um 1910?

  • Ich suche Spuren meiner Ururgrossmutter die zwischen 1895 und 1920 nach England auswanderte.
    Leider bin ich in den letzten 3 Jahren kein Stueck weitergekommen, es ist als wenn sie vom Erdboden verschluckt wurde.


    Kann mir vielleicht jemand sagen wie die Ausreisebestimmungen waren in dem o.g. Zeitraum?
    Was fuer Papiere brauchte man, musste man sich abmelden?
    Meine Ururgrossmutter war von Beruf Dienstmagd, gab es fuer Bedienstete Sonderregelungen?


    Vielen Dank!

    [font='Chicago, Impact, Compacta, sans-serif'][size=14]In mir schlummert ein Genie, aber das Biest wird nicht wach!

  • Hallo,


    leider kommt sie in keinerlei Unterlagen hier in UK vor.
    Um Euch einen kurzen Einblick in die Umstaende zu geben bzw. was ich bisher herausfinden konnte:


    Sie war zum Zeitpunkt der Geburt Ihrer Tochter (meiner Urgrossmuter Adele) unverheiratet
    und der Vater ihres Kindes war unbekannt.
    So wie ich ihren Lebensweg bis 1920 zurueckverfolgen konnte, arbeitete sie als Dienstmagd
    und verliess Bottrop im Maerz 1894 und zog nach Hiddingsel/Duelmen um dort
    einen neuen Posten aufzunehmen. Sie wurde aber nur ca. 3 Monate nach Ankunft schwanger
    und da der Vater des Kindes unbekannt ist, kann ich mir gut vorstellen dass eventuell ihr Vorgesetzter
    ein Auge auf sie geworfen hatte und sie schwaengerte. Ich denke wenn es ein Mitarbeiter oder jemand
    ihres "Standes" gewesen waere, haette sie vermutlich geheiratet da sie bereits 25 Jahre alt war.
    Und da sie auch nach Bottrop zurueckkehrte sobald die Schwangerschaft herauskam, gehe ich eher davon
    aus dass sie von ihrem Posten "enfernt" wurde um dem Dienstherren weitere Peinlichkeit zu ersparen.
    Sie kehrte also Heim und ihr Vater war vermutlich nicht sehr begeistert da die Familie katholisch war
    und nun seine Tochter nicht nur unehelich geschwaengert wurde, sondern weil auch der Vater des Kindes
    nicht zur Stelle war. Meine Ururgrossmutter bekam dann ihre Tochter am 28. Maerz 1895 in Bottrop
    in der Wohnung ihrer Eltern, dort lebte sie auch noch Anfang April als die Hebamme die Geburt registrieren liess.


    Ab diesem Zeitpunkt verliert sich ihre Spur und das letzte Schriftstueck dass ich besitze ist die Hochzeitsurkunde
    ihrer Tochter Adele von 1920. Dort gab Adele an, dass ihre Mutter Wilhelmine Wiesweg verstorben
    sei und ihr letzter Wohnort London war. Also war die Tochter mit der Mutter in Kontakt um diese Info anzugeben
    oder sie bekam die Information ueber den letzten Aufenthaltsort ihrer Mutter durch die Eltern der Mutter, die Adele aufgezogen hatten.


    Da ich ja in England lebe habe ich mich natuerlich sofort drangemacht und hier die Archive gewaelzt auf der Suche nach Informationen.
    Ankommende Passagiere = 0, Heiratsurkunden = 0, Sterbeurkunden = 0.
    Ich suchte sogar weiter nach abgehenden Passagieren auf Schiffen von England nach Amerika etc. aber nichts, nichts!
    Ich fragte dann vorsichtshalber noch einmal in Bottrop nach einer Sterbeurkunde aber auch dort Fehlanzeige.
    Meldekarte von ihr gibt es auch nicht, sie ist zuletzt auf der ihrer Eltern registriert bevor sie 1894 ihre Stelle antrat.
    Dies spricht auch dafuer dass sie nach der Geburt ihrer Tochter gar nicht mehr in Deutschland arbeitete oder verzog.


    Ich habe dann einen Text gefunden der von den "British Weekly Comissioners herausgegeben wurde und der mir sozusagen
    etwas die Augen oeffnete:
    http://www.victorianlondon.org…ations3/newtoilers-12.htm


    Demnach gingen sehr sehr viele Dienstmaedchen speziell aus Deutschland nach London weil sie von Anzeigen in deutschen Tageszeitungen
    regelrecht angeworben wurden, leider auch von Kriminellen die sich als Personalvermittler ausgaben!
    Nachdem ich diese Information las ist meine Theorie:
    Nachdem Wilhelmine ihre Tochter unehelich bekam und die Nachbarn sich
    sozusagen das Maul zerissen, sie in einer der lokalen grossen Zeitungen oder ueber andere Maegde die sie kannten, von der Moeglichkeit
    erfuhr in London zu arbeiten und das war die Loesung fuer sie. Mehr Gehalt und niemand wusste von ihren "Suenden" aus der Vergangenheit.
    Also packte sie ihre wenigen Habseligkeiten, liess Adele bei ihren Eltern und reiste nach London. Dort angekommen fiel sie Leuten in die Haende die sie beraubten,
    ihr vielleicht sogar was antaten und das erklaert dann auch warum es von ihr nirgendwo eine Spur gibt auf offiziellen Indexen!
    Wenn man sie tot irgendwo in der Gosse fand, oder sie auf Grund ihrer hoffnungslosen Situation (kein Geld, keine Moeglichkeit nach Hause zu fahren)
    hysterisch war und man sie in ein Asylum steckte (was man nach dem o.g. Text haeufig tat mit fremdlaendischen Servants die kein Englisch sprachen),
    dann kannte niemand ihren Namen. Ich hatte den Census 1911 durchsucht nach Asylums in London, und dort waren die Patienten nur mit Initialen eingetragen.
    Eine Patientin hatte die richtigen, das richtige Geburtsjahr und der Geburtsort war unbekannt. Das koennte sie zum Beispiel sein.
    Leider habe ich keinen Beweis.


    Wenn ich aber wuesste was zur Ausreise benoetigt wurde, also welche Papiere, dann koennte mir die nette Frau vom Stadtarchiv Bottrop
    eventuell doch noch weiterhelfen. Sie hatte mir bei der letzten Anfrage leider nur wieder die Kopie der Meldekarte ihrer Eltern herausgesucht,
    welche ich 2010 schon bekam.
    Aber wenn man von den Ausreiseregeln im heutigen Deutschland ausgeht, dann muss sie sich doch wenigstens abgemeldet haben
    oder auch einen Pass beantragt haben?


    Das sind meine Gedankengaenge zu dem Thema, ich stehe auf dem Schlauch!
    Ach und ihr Name war Wilhelmine Wiesweg und sie war geboren am 24.12.1869 in Bottrop


    Viele Gruesse

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  • Hallo,


    ich kenne mich zwar beim Thema Auswanderung aus Deutschland nicht so wirklich gut aus, bin mir aber angesichts der damaligen Bürokratie sicher, dass Auswanderer bei verschiedenen Behörden zumindest registriert wurden, wenn sie nicht sogar eine Genehmigung zur Auswanderung brauchten. Zumindest dürfte es einen entsprechenden Eintrag in irgendwelchen Akten des zuständigen Standesamtes oder Einwohnermeldeamtes gegeben haben.
    Ich würde - wenn ich mich in einer entsprechenden Forschersituation befände - auf jeden Fall zunächst versuchen, das für Hiddingsel/Duelmen zuständige Standesamt und Einwohnermeldeamt zu ermitteln und dort zu erfragen, ob es möglicherweise dort Informationen über sie gibt. Falls nicht, würde ich mich an das Standesamt ihres Geburtsortes wenden, weil nach meiner Erfahrung immer mal wieder auch nach dem Wegzug noch Informationen an die Ämter des Herkunftsortes weitergeleitet wurden. Diese Aussagen sind zwar jeweils gebührenpflichtig, können aber recht informativ sein und sollten sich entsprechend lohnen. Achtung: um FOTOKOPIEN der Akten bitten, damit keine Information verloren geht!


    Viele Grüße

    IRGENDWIE sind wir doch ALLE miteinander verwandt... ;)

  • Hallo Sbriglione,


    ja ich hatte mich ja schon an die Stelle in Bottrop gewandt. Das Standesamt ist nicht zustaendig da die Sache zu lange her ist,
    das Stadtarchiv moechte gerne helfen aber findet nichts.
    Ich werde wohl wie Du schon sagst mal eine Anfrage nach Hiddingsel schreiben, wobei ich nicht denke dass
    da viel herauskommen wird weil sie nur so kurz dort war.
    Wenn ueberhaupt wohl nur eine Meldekarte mit Anmeldung nach Hiddingsel und Abmeldung nach Bottrop.


    Viele Gruesse

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  • Hallo


    Du hast erwähnt, dass du Passagierlisten, Heirats- und Sterbeeinträge durchsucht hast.
    Aber es gibt auch noch andere Dokumente wie zum Beispiel Naturalisations:


    http://www.nationalarchives.gov.uk/news/688.htm
    http://www.nationalarchives.go…n/naturalised-britons.htm


    Es gibt auch Websites mit alten Zeitungen
    http://www.britishnewspaperarchive.co.uk/
    Diese Seite ist jedoch nicht kostenlos!


    oder alten Kriminal-Prozessen online.
    http://www.oldbaileyonline.org/


    Hast du auch daran gedacht, das verschiedene Namensvariationen
    auftauchen können, evtl. auch ganz oder teilweise anglisierte?


    Gruss
    Svenja

  • Hi Svenja,


    ja die Naturalisations sind vom National Archive gecheckt worden,
    leider nichts.


    Die Kriminal Prozesse und die Zeitungen habe ich noch nicht durchsucht,
    werde da gleich mal schauen, Danke fuer die Links!


    Ich habe die Datenbanken in den letzten Jahren mit vollem Namen, nur mit Vornamen (und Variationen)
    und dem Geburtsdatum plus Geburtsort oder Land durchsucht.
    Ich denke mal auch wenn der name anglisiert worden waere haette man sie doch anhand
    des Vornames gefunden speziell wenn das Geburtsland Deutschland ist.
    Wilhelmine oder Wilhelmina/Mina war ja auch hier in England gang und gaebe in der Viktorianischen Zeit.


    Viele Gruesse

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  • Hallo aus Kiel,
    willkommen im Klub der "verzweifelten Sucher"...lach*.
    Die Auswanderung war gar nicht so schwierig, wie man allgemein mutmaßt. I.d.R. stellte man bei der örtl. Polizeibehörde/Landratsamt einen Antrag auf Auswanderung stellen.
    Hier muss man alledings schauen, welche Dienststellen sich vor Ort mit der Auswanderung beschäftigten,hier gibt es unterschiedliche Verantwortungsbereiche. Zu diesem Antag musste man selber einige Bescheinigungen beibringen z.B. Geburtsurkunden, Nachweise über den Personenstand, Leumundsnachweise, Entlassungsnachweise aus der/einer Amtshörigkeit, Reiseziel usw..


    Ferner könnte deine Ur-Ur-Großmutter einen Staatsangehörigkeistausweiss beantragt haben, letzlich bedurfte es ja auch einer Legitimatin ihrer Person in England. Hier könnte evtl. das zuständige Landesarchiv noch über evtl. [Auswanderungs] Archivalien verfügen. Ferner wurde im Frühjahr 1919 das "Reichsamt zur Pflege der Auswanderung, Einwanderung und Rückwanderung gegründet. Hier gibt "Tante google" so einiges an Auskunft und orientierungshilfe.


    All diese Angaben greifen natürlich nur dann, wenn die Ur-Ur-Großmutter das Land offiziell verlassen hat. Es ist leider eine unbestrittene Tatsache, dass Frauen mit unehelichen Kindern schlichtweg ihr Heil in der [kopflosen] Flucht gesucht haben. Hier stellt sich die Frage, wie hat sie ihre Auswanderung finanziert. Auch wenn die überfahrt nach england nicht gleich ein vermögen gekostet hat, aber als Magd dürfte sie nicht unbedingt über die großen Finanzmittel verfügt haben..??..


    Somit nutzten einige Auswanderer die Möglichkeit, als Zwischendeckspassagiere auf Frachtschiffen ihr Auswanderungsziel zu erreichen; dabei ist das Endziel nicht gleichbedeutent mit Zielhafen des Schgiffes...leider, letzlich konnte man auch so den örtl. Einwanderungsbehörden ein "Schnippchen schlagen".


    Ferner sollte man die Schreibweise des Familiennamens berücksichtigen, hier kann man oftmals wahre Wunderwerker der Schreibkunst erleben, gerade dann, wenn man z.B. eine Umlautschreibung im FN. hat.


    Ob nun Dienstmagd, Knecht, Handwerker, hier gab es keine besonderen Regelungen, eher Beschränkungen des Einwanderungslandes, die natürlich eine zielorientiert Zuwanderungs-politik betrieben, sprich Fachleute ins Land holen wollten.


    Standesamtlich dürften sich kaum Hinweise finden lassen, evtl. findet sich ein Randvermerk auf der Gebutsurkunde der Tochter. Erfolgsversprechender könnten da eher Einträge in den Kirchenbüchern sein, in denen oftmals die Auswanderungen vermerkt sind, zumind. aus meiner eigenen Erfahrungen heraus.


    Wie schaut es denn ggf. mit alten Adressbüchern aus, sei es nun in England oder Deutschland. Vielleicht kann man über entsprechende Einträge den Abwanderungszeitrau etwas näher eingenzen..??..


    Wie schon geschrieben, die erste Adresse wäre für mich das entsprechende Landesarchiv zu kontaktieren, immer eine gute Adresse als "Ideenschmiede".


    Mit den besten Grüssen von der Kieler-Förde
    Roland [Holsteinforscher]

  • Hallo Thoem (sorry hab kein oe auf meiner Tastatur),


    vielen Dank fuer die ausgiebige Antwort!
    Da werde ich wohl nochmal das Stadtarchiv nach den von Dir genannten Dokumenten suchen lassen.


    Das Geld fuer die Reise hatte sie vermutlich bei Familie/Freunden geliehen.
    Ihr Vater war bereits Rentner und es gab sicherlich einige hilfreiche Bekannte
    die es unterstuetzten dass sie die Gegend verliess nach dem Skandal.


    Auf dem Geburtseintrag ihrer Tochter gibts leider keinen Randvermerk,
    ich muss mal nach dem Taufeintrag der Tochter fragen um zu sehen ob dort was steht.


    Die Adressbuecher haben ihren Namen leider nicht erfasst.. es ist frustrierend.


    Ich hatte nun das Stadtarchiv Duelmen angeschrieben und auch sofort eine Antwort zurueck erhalten.
    Mir wurde leider mitgeteilt dass es fuer Hiddingsel in 1894 noch keine Meldekarten gab.
    Tja.. waere ja auch zu schoen gewesen!!


    Viele Gruesse

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  • Also das Stadtarchiv Duelmen hat mir jetzt geschrieben dass es von Hiddingsel gar keine Unterlagen gibt die
    fuer mich relevant waeren da es wohl mal einen Wasserschaden im Archiv gab und die Hiddingsel Dokumente
    zerstoert wurden :/ super!
    Ich werde mich dann mal weiter auf Bottrop konzentrieren. Von dort warte ich noch auf eine Antwort
    bezueglich Ausreisedokumenten.

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