Und wie war das mit der Integration?

  • Hallo zusammen,


    in einem 'benachbarten' Thema las ich zu einem Auswanderer folgende Anmerkungen aus dem Census 1900:


    "1863 in die USA eingereist; seit 37 Jahren in den USA lebend, nicht (mehr) berufstätig, kann lesen und schreiben und spricht KEIN Englisch"


    Das würde ich gerne zum Anlass nehmen und mal wieder eine allgemeine Diskussion starten. Die Frage beschäftigt mich schon länger.


    Wie war das eigentlich mit der Integration im Einwanderungsland? Gibt es Parallelen zur Situation in Deutschland heute? Ich meine im Hinblick auf die de facto zu Einwanderern gewordenen Gastarbeiter.


    Während der Recherchen zu 'meinen' Auswanderer erfuhr ich viel über Little Germany in New York des 19. Jahrhunderts, wo es deutsche Zeitungen, Theater etc. gab. In manchen Staaten des Mittleren Westens der USA waren deutsche Einwanderer vielerorts in der Mehrheit und bis zum ersten Weltkrieg wurden die deutsche Sprache und Kultur sehr lebendig gehalten. Hier und da gab es noch bis zum Zweiten Weltkrieg eine sonntägliche Messe in deutscher Sprache.


    Was könnt Ihr berichten? Wie viele Generationen hat es gebraucht, bis die Menschen Amerikaner waren? Wie wurde das "amerikanisch sein" überhaupt verstanden?


    Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion.

  • Hallo Zimba, ich habe schon häufiger gehört, daß es in Amerika mal eine Abstimmung gab, ob nicht Deutsch die Landessprache werden sollte. Englisch hat sich nur ganz knapp durchgesetzt....


    Assi


    Und was ich nicht ändern kann, da bleibe ich weiter dran... (Herbert Grönemeyer)

  • Sorry, aber ...


    http://de.wikipedia.org/wiki/D…n_den_Vereinigten_Staaten verweist auf die "Muhlenberg Legende"


    Zitat

    Als Muhlenberg-Legende wird die Legende bezeichnet, nach der es zur Zeit der Gründung der Vereinigten Staaten eine Gesetzesvorlage gegeben haben soll, Deutsch als offizielle Landessprache einzuführen. Das Gesetz soll an einer einzigen Stimme gescheitert sein, nämlich am Widerspruch des Deutschamerikaners und Sprechers des Repräsentantenhauses Frederick Muhlenberg (1750–1801).


    Das Gerücht entstand um 1840 ....
    [...]
    Es hat in den USA oder auch in einzelnen Bundesstaaten niemals eine Abstimmung über eine Amtssprache stattgefunden.

    Von: http://de.wikipedia.org/wiki/Muhlenberg-Legende


    Gruß,
    Bob

  • Davon abgesehen, ... ich finde das Thema interessant, und nicht nur für Amerika, sondern auch für England.


    Der Erfolg der Integration wird sicherlich damit zusammenhängen: wie groß war die Bereitschaft der Einwander sich zu integrieren ?
    Blieben sie nur unter sich ? Versuchten sie die Sprache zu lernen und "voranzukommen" ? usw.


    Und was für eine Auswirkung hatten die zwei Weltkriege auf ihre Bemühungen ?


    Im englischen Forum gibt es ein grosse Thema (über 60 Seiten lang) über Einwanderer von Deutschland nach England, die Schweinefleischer waren, und in England als "Pork Butchers" weiter tätig waren. [*].
    Hier wird nicht nur über gelungene Integration berichtet, sondern auch über die Auswirkungen des 1. WK. Viele Einwanderer (auch in 2. Generation), die bis dahin geschätzte Mitglieder der Gemeinde gewesen waren, waren plötzlich "der Feind". Ladenfenster wurden zertrümmert, und in einem Beitrag wurde erzählt, wie solche Angriffe erst dann aufhörte, als die 3 Söhne eines Ladenbesitzers absichtlich in ihren Uniformen der britischen Armee hinter der Theke servierten, wenn sie Freigang hatten.



    Gruß,
    Bob




    [*] Topic: RootsChat Topics: German Pork Butchers in Britain
    http://www.rootschat.com/forum/index.php/topic,408853.0.html (Haupt-Topic)
    und andere Topics:
    http://www.rootschat.com/forum/index.php/topic,509347.0.html
    und hier im Forum:
    "verschwundene" Fleischer und Metzger - German pork butchers in England

  • Hallo zimba123,


    Zitat von zimba123

    "1863 in die USA eingereist; seit 37 Jahren in den USA lebend, nicht (mehr) berufstätig, kann lesen und schreiben und spricht KEIN Englisch"


    Im ersten Augenblick wundert man sich sicher darüber ... aber ich kenne z.B auch "Auswanderer" die es um 1970 Jahren nach Spanien verschlagen hat, welche aber kein oder nur sehr wenig Spanisch sprechen. Allerdings kenne ich auch andere die ebenfalls nach Spanien ausgewandert sind aber perfekt Spanisch sprechen.


    Der Unterschied bei beiden Bekannten, die einen verzogen in ein Gebiet in welchem sich bereits viele Deutsche angesiedelt hatten und man mit der eigenen Sprache gut klar kam. Die anderen zogen in eine Gegend in welcher es so gut wie keine Deutschen gab und die Gegend auch z.B touristisch keine Rolle spielt. Hier MUSSTE man einfach die Sprache lernen :)


    Ich denke das dies bei den Auswanderungen nach Amerika nicht anders war. Bekannte sind vor ein paar Jahren z.B nach Grunthal (Manitoba Canada) ausgewandert , weil sie dort anfangs auch gut mit Deutsch auskommen würden. Mittlerweile sprechen sie allerdings auch sehr gut Englisch zumal sie dort auch eine entsprechende Sprachschule besuchen MUSSTEN. Arbeit hatten sie dort bei einer Familie gefunden die von deutschen Auswanderen abstammte :)


    MfG Watf

  • Ich glaube, die erste Einwanderungsgeneration in den USA (auch in Brasilien) sprach fast nur deutsch. In unserer Gegend sind viele Leute gemeinsam ausgewandert. nicht direkt alle gleichzeitig, sondern nach und nach, aber jeweils in die Orte, wo sie dann alte Bekannte trafen, mit denen sie selbstverständlich deutsch (bzw. in diesen Fällen plattdeutsch) sprachen. Ich habe gehört, dass viele Familien erst im Zuge des 1.Weltkriegs, als Deutsche eher schlecht angesehen waren, zum Englischen übergingen.


    Insofern ist es sehr ungerecht, hiesigen Einwohnern irgendwelche Vorwürfe zu machen. Unsere ausgewanderten Verwandten (ich glaube, jeder hat welche) waren letztlich auch "Wirtschaftsflüchtlinge". Sie hielten genau so eng zusammen, z.B. beim Heiraten, wie es nun zum Teil unsere ausländischen Mitbürger tun. Ich denke, das ist ein normales menschliches Verhalten. Natürlich bin ich dafür, dass die Leute hier deutsch lernen. Aber das ist eine schwierigere Sprache als englisch und trotzdem haben sich damals viele Auswanderer damit schwer getan.

  • Hallo


    Zitat

    Ich habe gehört, dass viele Familien erst im Zuge des 1.Weltkriegs, als Deutsche eher schlecht angesehen waren, zum Englischen übergingen.


    Erst kürzlich bin ich auf einen solchen Fall im 2. Weltkrieg in Kanada gestossen, wo sogar Schweizer genauso behandelt wurden wie die Deutschen.
    Viele Deutschen wurden in Internierungslager gesteckt, sowohl in England und Frankreich, als auch in den USA, Kanada und Australien.
    Ich glaube im Unterforum zum 2. Weltkrieg habe ich auch mal einige Links zusammengestellt, auf meiner Website findet man sie auch.


    Einen anderen interessanten Fall aus der Zeit des 1. Weltkrieges konnte ich in alten Zeitungsartikeln nachlesen. Da wurde mehrmals
    erwähnt, dass ein John Wostl* aus Böhmen, wohnhaft im Staat Oregon, wieder in die österreichisch-ungarische Armee zurück müsse.
    Schlussendlich landete er aber in der US-Armee, in seiner World War One Draft Card ist jedoch tatsächlich vermerkt, dass er
    vor dem Krieg drei Jahre in der k.u.k. Armee Dienst tat und er war auch bereits Gefreiter.


    Wenige Wochen später bin ich auf die Geschichte des Schiffes Nieuw Amsterdam gestossen und habe auf der Website zu einem
    französischen Internierungslager herausgefunden, dass auf diesem Schiff tatsächlich Deutsche und Österreicher aus Amerika
    waren, die unterwegs in ihre Heimatländer waren, um dort der Armee beizutreten und in den Krieg zu ziehen. Ganz aus der
    Luft gegriffen waren die Befürchtungen der Zeitungen in Oregon also doch nicht.


    Falls sich jemand für die Links interessiert, die stehen an verschiedenen Stellen im Forum, ich kann sie aber gerne auch hier einfügen.
    *Die Geschwister Wostl in Oregon habe ich sehr ausführlich erforscht (eine Schwester war mit einem meiner Auswanderer verheiratet).


    Gruss
    Svenja

  • Hallo,


    1911 ist der Bruder meiner Großmutter mit Frau und vier Kindern (zwischen 4 und 10 Jahre alt) nach Brasilien ausgewandert.
    In überlieferten Briefen schreibt er immer wieder von den Problemen, die sie dort haben.
    Dabei wird aber auch deutlich, dass sich zumindest die Eltern nicht wohl fühlten, sich allenfalls begrenzt integrieren wollten - weil sie dazu gezwungen waren, um zu überleben. Der Vater äußert sich dazu wiederholt in sehr negativer Form über seine neue Heimat und die Menschen dort. Besonders groß sind diese Probleme während des Ersten Weltkriegs, wo sie als "Feinde" besonders ausgegrenzt wurden.
    Dazu kommt auch die fehlende Bereitschaft und/oder Fähigkeit portugiesisch zu lernen. In einem Brief von 1919 erwähnt der Vater "... und verstehen wir die hiesige Sprache nicht so ...". Im Widerspruch dazu steht, dass er als Briefabsender stets "Carlos Klinkos" statt Karl Klinke schreibt.
    Es wird aber auch klar, dass seine Erwartungshaltung (basierend auf vollmundigen Versprechungen von Auswanderungsagenten) und die Realität in Brasilien sich ganz erheblich unterschieden. Schon sehr bald würde er gerne wieder nach Deutschland zurückgehen, die Kosten für eine Schiffspassage kann er aber nicht aufbringen.


    Bei den Kindern war das offenbar etwas anders, ein Sohn schreibt 1920 "... wir sprechen alle Brasilianisch ..." (da war er 13 Jahre alt).
    Die Kinder haben sich - nach den Briefen zu urteilen - schnell und mit wenig(er) Vorbehalten integriert. Die Söhne haben eine Lehre absolviert, der eine geht "in den Urwald" und betreibt eine Farm dort.


    Für mich ein Beispiel für eine ziemlich missglückte Auswanderung und die damit zusammenhängende Wechselwirkung zu einer Integration.
    Der Kontakt zu der Familie ist 1936 abgebrochen und konnte nach dem Krieg nicht mehr aufgenommen werden.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo zusammen,

    dass auf diesem Schiff tatsächlich Deutsche und Österreicher aus Amerika
    waren, die unterwegs in ihre Heimatländer waren, um dort der Armee beizutreten und in den Krieg zu ziehen


    Hierdrauf bin ich bei der Erfassung der Verlustlisten gestoßen, da dort amerikanische Herkunftsorte angegeben waren.


    Zu Rotrauds Beitrag Nr. 6:


    Vermutlich war es im 19. Jahrhundert für Deutsche im MIttleren Westen der USA viel einfacher, bei der (platt-) deutschen Sprache zu bleiben, da die entsprechenden Bevölkerungsgruppen viel größer und homogener waren (siehe Eheschließungen). Man arbeitete hauptsächlich in der Landwirtschaft. Die Mobilität war begrenzt - erst die zweite Generation zog weiter nach Westen, da es dort noch Land gab.


    Wenn man das mit der Situation der Einwanderer im heutigen Deutschland vergleicht... die Anforderungen an die (Aus-) Bildung, die das Erwerbsleben heute stellt; "einfache" Tätigkeiten sind kaum noch zu finden... der ganze Umgang mit Behörden, Formulare, Steuererklärung & Co... Ohne Sprachkenntnisse sollte man da nicht mehr weit kommen.


    Wenn man liest, dass sich - zumindest die erste Generation deutscher Einwanderer - auch schwer tat mit der Sprache (und Kultur?), was bedeutete es dann, Amerikaner zu sein?


    Wenn man Auswanderer-Briefe liest, dann zeugen diese oft von einer großen Freude und Dankbarkeit über die gewonnene Freiheit, darüber, der Gängelei in der alten Heimat entkommen zu sein, über die Möglichkeit, für wenig Geld Land zu erwerben... trotz aller Beschwernisse des Lebens.