Was in in einem Kirchenbau das "Aon" ?

  • Hallo zusammen,


    in einem Protokoll einer Pastorenwahl aus dem Jahre 1786 in einer evangelischen Kirchengemeinde in Holstein finde ich die folgende Formulierung.


    "Die eigentliche Wahl fand sodann im Aon der Kirche statt".


    aus dem Kontext ist eindeutig zu ersehen, dass es sich hierbei um eine Ortsangabe innerhalb des Kirchenbaus handeln muss.
    Wer kann mir sagen, was damit gemeint ist?


    Altarbereich, Empore, Gestühl, Vorraum etc. etc. ????

    Gruß Brokstedt


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    Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme (Thomas Morus)

  • Hallo Henriette,


    ich kann nicht ausschliessen, dass der Protokollant Äon schreiben wollte, geschrieben hat er aber Aon.


    Aber auch, wenn er Äon hätte schreiben wollen, was wäre denn dann damit innerhalb eines Kirchenbaus gemeint? Auch hierfür finde ich keine plausible Erklärung bei unseren wikipedia/google-etc.-Freunden.


    Wahrscheinlich sind hier vertiefte (historische) Architekturkenntnisse im Bereich Sakralbau notwendig?


    Der Vorgang einer Pastorenwahl durch die Kirchengemeinde hatte im 18. Jahrhundert - zumindest in Holstein - anscheinend neben dem kirchlichen Teil - Eröffnung und Erweckungspredigt wurde in diesem Fall zunächst durch den zuständigen Kirchenprobsten durchgeführt, dann haben die drei Kandidaten nacheinander ihre Wahlpredigten halten müssen, anschliessend erfolgte der formale Wahl-Akt in geheimer "Zettel-Wahl" durch die wahlberechtigten Kirchengemeindemitglieder. Geleitet wurde dieser Wahlvorgang durch den Kirchspielvogt (also durch den weltlichen Teil der Macht). Der Vogt schreibt in seinem Protokoll explizit: "anschliessende Wahl im Aon der Kirche" - ich interpretiere, dass mit einer Ortsänderung (nicht mehr im eigentlichen Kirchenraum) nun auch symbolisch der Wechsel der Zuständigkeiten zwischen kirchlicher Zuständigkeit und weltlichem Vorgang vollzogen wurde. Das Aon könnte demzufolge in erweiterter Auslegung des Begriffes "Kirche" auch Pastorat bedeuten?

    Gruß Brokstedt


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  • Hallo Brokstedt,


    Es soll wohl heißen, die Wahl fand im „Zeitalter, Zeitraum“ der Kirche statt und sollte die protestantische Reformation besonders hervorheben.


    Viele Grüße, Ursula

    Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Ich gieß Wasser zur Suppe und heiß alle willkommen.


    Viele Grüße, Ursula

  • Hallo Ursula,


    ... die Erklärung scheint m.E. nicht zu passen, da das ganze mehrseitige Protokoll des Vogts sehr profan und auf die reinen sachlichen Vorgänge bezogen ist. Um meine Sicht, dass es sich um einen konkreten Teil des Kirchenbaus handeln muss, hier nochmals zu verdeutlichen, anbei der ganz genaue Wortlaut des Protokolls:


    "... die Wahl ist.., nachdem von Hochgedachtem Herrn Consistorial-Rath und Probsten die gewöhnliche Erweckungs-Rede an die Gemeine gehalten, und damit der Gottesdienst geschlossen war, sogleich unmittelbar darauf, in der Kirche, und zwar im Aon, aufgenommen, und in nachfolgender Ordnung volzogen worden." Es folgen die Namen aller 108 Wahlberechtigten und das Wahl-Ergebnis.


    Der mit dem Verwaltungsakt beauftragte Vogt sieht offensichtlich an keiner anderen Stelle eine Veranlassung, theologische, sakrale oder konfessionelle Besonderheiten zu betonen. Das Protokoll ist für den Gouverneur bestimmt. Der Vogt beschreibt nur den Ablauf des Procederes. Aus vielen anderen Protokollen wird klar, dass er mit seinen Formulierungen eigentlich nur deutlich machen muss, dass es zu keinen "Verfahrenfehlern" bei diesen hoheitlichen Amtsbesetzungen gekommen ist, alles also seine formale Richtigkeit hat. Aus diesem Grund glaube ich auch, dass ihm der räumliche Zusatz "und zwar im Aon" als formalem Bestandteil des Wahlvorganges wichtig sein muss, da vorgeschrieben ist, dass die Wahl unmittelbar (und wohl auch noch in der Kirche) stattfinden muss.


    Es ist stark zu vermuten, dass die formalen Vorgaben für die Pastorenwahl darin bestanden, dass im unmittelbaren Anschluss an die abzulegenden Wahlpredigten die Stimmen abgegeben werden mussten, damit hier nicht "Meinungs- und Stimmungsmache" von interessierter Seite vorgenommen werden konnte.


    In der offiziellen Ankündigung/Anordnung dieser konkreten Wahl durch den Gouverneur und Statthalter Carl Landgraf und Prinz zu Hessen auf Gottorf vom 1. Juni 1786 heisst es denn auch:
    "..., und darauf nach der letzten Wahl-Predigt sogleich die würkliche Wahl vorgenommen werde: Als wird solches hierdurch nicht allein zu jedermanns Wißenschafft gebracht, besondern es werden auch sämmtliche bey der Gemeine... Eingepfarrte hiermit ermahnt, sich an diesem Tage zur Anhörung der Wahl-Predigten fleißig einzufinden, und unter Anruffung des göttlichen Nahmens, demjenigen ihre Stimme ohne alle Neben-Absichten zu geben, von welchem sie glauben und hoffen, daß er sie an ihrer Seele am meisten erbauen und ihnen mit einem gottgefälligen Tugend-Wandel und exemplarischen Leben verleuchten werde, mit der angehängten Verwarnung, daß der oder diejenige, so ein Recht zu wählen haben und sich dennoch zur Wahl nicht einfinden, selbige für diesesmahl von dem Wahl-Actu gäntzlich ausgeschlossen seyn sollen."

    Gruß Brokstedt


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  • Hallo Brokstedt,


    ich schließe mich der Interpretation von Henriette und Ursula an, dass es sich hier micht um einen räumlichen, sondern um einen zeitlichen Begriff handelt.
    In "Corpus scriptorum christianorum orientalium: Subsidia
    " wird der Begriff "Aon" synonym für Zeit(-raum)/Epoche verwendet.
    5 Beispiele von 29 eindeutigen Textstellen:
    "So lange der Priester in diesem Aon lebt, ist auch er der Wandelbarkeit unterworfen, seine Lehre schwankend..." (a.a.O., S. 317)
    "...aus dem göttlichen Leben entspringen kann, und das einmal empfangene Leben hegend für den kommenden Aon zu bewahren." (a.a.O., S. 335)
    "Die konsequente Absage an den alten Aon und seine überkommenen Irrtümer..." (a.a.O., S. 341)
    "Erst im kommenden Aon Kann man von einer >>heiligen Kirche<< im strengen Sinne sprechen, im gegenwärtigen hingegen ist dies nicht möglich..." (a.a.O., S. 371)
    "... und nimmt eine Zwischenstellung zwischen dem gegenwärtigen und künftigen Aon ein." (a.a.O., S. 379)


    Gruß
    Detlef

  • Hallo Detlef,


    vielen Dank für Deine Mühe. ich stimme Dir in soweit zu, dass der Begriff "Aon" im kirchlichen Kontext (wie auch anderen) tatsächlich in Bezug auf Epoche oder Zeitraum verwendet wird. Umso überraschter (und nach wie vor irritiert) bin ich ja auch, ihn in einem hierzu irgendwie nicht so richtig passenden Kontext zu finden.


    Deshalb war meine Überlegung ja auch, das der Begriff (in einem irgendwie übertragenen Sinne) auch noch mit einer zweiten Bedeutung im Zusammenhang mit Bau oder Gottesdienst stehen könnte.
    In dem gesamten mehrseitigen Protokoll des Vogtes wirkt er in dem Sinne "in dieser Kirchen-Epoche" deplatziert. Hätte der Probst diesen Text formuliert (hat er aber nicht), wäre ich eher bei Euch.


    Ich werde wohl auch nochmals bei nächster Gelegenheit den Kontakt zu dem einen oder anderen kirchenhistorisch bewanderten Pastor aufnehmen, den ich kenne.


    Sollte sich wirklich eine zweite architektonische Nutzung des Begriffs ausschliessen lassen, bleibt in der Tat nur Euer Erklärungsansatz - ich bleibe aber noch ein wenig skeptisch....

    Gruß Brokstedt


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  • Hallo Brokstedt,


    deine Skepsis zur bisher diskutierten Interpretation kann ich nachvollziehen.
    Ich habe jetzt ziemlich lange in Lexika und einschlägiger Literatur (online und Papier) gesucht - erfolglos. Nicht mal bei Adelung, Grimm oder Krünitz lässt sich was finden.


    Deshalb ergeben sich für mich spontan erstmal drei Möglichkeiten:
    Aon ist
    - ein regionaler, mundartlicher Begriff
    - eine Abkürzung
    - ein Lesefehler


    Ich weiß natürlich nicht, wie "ordentlich" der Text geschrieben ist (und ich will auch nichts unterstellen :) ) - aber vielleicht hilft es, wenn du den scan eines etwas größeren Stücks des Protokolls mal hier einstellst.


    Ich bin inzwischen auch neugierig, was das bedeutet.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Jörg,


    bin heute schon etwas früher auf :D Wegen des Sturms sind die Hunde schon unruhig.


    Scan würde ich gerne einstellen, leider ist mein Scanner seit Tagen nicht zum Laufen zu bringen ?( . Mache ich aber sofort, wenn ich das Ding wieder zum Laufen gebracht habe (vielleicht hilft der zweite Morgenkaffee, den ich mir gleich vornehmen werde)


    Habe mir eben nochmals die relevante Passage mit der Lupe angesehen und muss eingestehen, dass zumindest der Hinweis von Henriette berechtigt sein könnte: Was ich zunächst als Komma über dem Aon angesehen habe, könnte auch Äon bedeuten (habe ich aber ohnehin als Synonym mit dem gleichem Sinngehalt interpretiert). Der Rest scheint aber sehr deutlich, zumal sich angesichts der folgenden Namenlisten auch viele Vergleichsmuster im Text für das große "A" bzw. "Ä" ergeben. Hatte auch schon an "Dom" gedacht, aber wir reden hier über eine kleine Dorfkirche einer gerade einmal 500-Seelen-Gemeinde.Auf die Idee, diese "Dom" zu nennen, käme wohl niemand. Andererseits kommt mir gerade jetzt in den Sinn, dass die in Rede stehende Kirche nach einem Blitzeinschlag im Jahre 1741 bis zur endgültigen Renovierung 1779 über einen langen Zeitraum stark baufällig gewesen ist. Im Jahr 1786 ist sie gerade erst wieder seit wenigen Jahren vollständig in Stand gesetzt - unter maßgeblicher finanzieller Beteiligung der Familie des Vogtes. Mag sein, dass er sich gerade deshalb bemüssigt fühlt, hier ein ansonsten belangloseres Detail zu benennen (Stolz?). Da die Familie des Vogtes einen eigenen, für sich abgekleideten Familienstuhl in der Kirche hatte, ist damit vielleicht gemeint, dass dieser genutzt wurde - als Wahlkabine?


    Den Hinweis zu Abkürzung finde ich gut. Müsste dann sofort an so etwas wie Atrium (für Vorraum?) denken, aber bezüglich Praktikabilität zweifelhaft. Die Kirche dürfte mit den anwesenden Würdenträgern und den 108 Abstimmenden ohnehin sehr voll gewesen sein. Warum dann für den Wahlgang "mit Zetteln" in einen Verschlag wechseln? Je länger ich grüble, desto wahrscheinlicher scheint es mir, dass der Vogt beschreiben will, wo er sich während des in der Kirche stattfindenden Wahl-Actus mit dem "Zettelkasten" und den ggf. Beisitzern (müssen die beiden Kirchenbaumeister gewesen sein) bei dem Wahlgang befunden hat, denn Zeit ("unmittelbar darauf") und Ort ("in der Kirche") hat er ja schon angegeben.


    Das Stichwort "Regionaler Begriff" ist zwar in Verbindung mit Aon/Äon "komisch",nehme ich aber für eine Kontaktaufnahme mit dem lokal bewanderten Pastor mal mit.

    Gruß Brokstedt


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  • Hallo Brokstedt,


    Du gehst immer von einem realen Gebäude Kirche aus. Früher wurde aber Kirche oft als Oberbegriff der Glaubensgemeinschaft verstanden.
    In diesem Fall könnte der Satz so interpretiert werden:
    „Die eigentliche Wahl fand sodann im Geiste der Kirche statt.“
    Die Abstimmung kann trotzdem im Kirchengebäude, natürlich auch in einer Gaststätte, beim Vogt, usw. stattgefunden haben.


    Einen schönen Tag, … und halt den Hut fest.


    Viele Grüße, Ursula

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    Viele Grüße, Ursula

  • Hallo zusammen,


    an dieser Stelle würde ich gern ein altes, noch nicht endgültig geklärtes Thema aufgreifen und aktualisieren. Was ist ein "Aon/Äon" im kirchlichen Zusammenhang des 18. Jahrhunderts im protestantischen Norddeutschland.
    Ich habe inzwischen folgende Vermutung:


    Vom den Wahlteil leitenden weltlichen Kirchspielvogt wird mit der Formulierung "fand im Aon der Kirche statt" wohl tatsächlich auf eine Zurückverlagerung der Zuständigkeit auf die Kirche für die Auswertung der Stimmzetteln Bezug genommen, nachdem die Zettelabgabe und Einsammlung in weltlicher Zuständigkeit lag, nicht wie ich ursprünglich vermutete, auf eine räumliche Verlagerung der Prozedur. Wie komme ich darauf:


    • Hinweise für einen räumlichen Begriff innerhalb des Kirchenbaus sind nicht zu finden
    • im 18. Jahrhundert war der ähnliche Begriff "aerario" für das Kirchenvermögen üblich.

    Der Begriff leitet sich anscheinend aus dem lat. "aerarius" (ursprünglich Kupferschmied) ab, aus dem dann aerarium (Staatskasse = ursprünglich (Kupfer-)Münzen) und das Adjektiv "aerarius" (zum Erz gehörig) wurden. Der Vogt hat mit der Formulierung/Abkürzung Aon/Äon wohl tatsächlich nur ausdrücklich darauf aufmerksam machen wollen, dass die Auswertung der Stimmzettel wieder in Zuständigkeit (im Vermögen) der Kirche stattgefunden habe.

    Gruß Brokstedt


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