Paradox - Verstorbener erleidet ein Jahr nach dem Tod eine Kriegsverwundung

  • Liebe Forumsleser,


    ich wende mich einfach mal an Euch, weil ich momentan nicht weiß, wie ich mit zwei gesicherten, jedoch sich widersprechenden Aussagen umgehen soll.


    Es handelt sich um einen Urgroßvater mütterlicherseits namens Ernst Schwirsch. Ernst Schwirsch verstarb am 01.04.1915 in Leipzig-Kleinzschocher. Darüber existiert eine Sterbeurkunde. Ferner ist das Ableben mit Datum und Sterberegisternummer auch als Randvermerk auf seiner Heiratsurkunde zu finden. Beide Urkunden wurden vom zuständigen Standesamt in der DDR-Zeit erstellt.


    Nun fand ich in den sächsischen Verlustlisten des 1. Weltkrieges zufälligerweise einen Eintrag, wonach ein Ernst Schwirsch aus Leipzig-Kleinzschocher am 05.08.1916 als leicht verwundet registriert wird.


    Die Existenz eines zweiten Ernst Schwirsch in Kleinzschocher ist eigentlich ausgeschlossen und wird auch von meiner noch lebenden Mutter bestritten. Außerdem handelt es sich nicht um eine Familie, die in Kleinzschocher seit altersher ansässig ist. Aber eine andere logische Erklärung habe ich nicht.


    Wie gehe ich nun mit diesem Paradoxum um? Habt Ihr auch schon mal ähnliches erlebt?

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo Egon,


    für mich gibt es da eigentlich erstmal nur die Erklärung, dass man sich in den Verlustlisten beim Datum geirrt hat, und die Verwundung früher stattgefunden hat.


    LG Gabi

    FN Grzegorzewski (die Adligen aus Polen)
    FN Gregorovius (Ost-und Westpreußen)
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    FN Dannehl (Magdeburg und Umgebung, Berlin)
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    FN Werth (Rheinland,Aachener Umgebung,Berlin)

  • Hallo Egon


    Normalerweise gibt es in Verlustlisten kein Datum der Verwundung und oft auch kein Todesdatum, sondern nur das Datum des Erscheinens der Verlustliste.
    Viele Einträge von Verwundeten, Vermissten, Gefangenen, Gefallenen, erschienen erst mehrere Wochen oder Monate nach dem Ereignis in den Verlustlisten.
    Sterbeeinträge im Geburts- oder Wohnort der Gefallenen erfolgten meist erst mehrere Wochen oder Monate später, weil die Nachricht erst dann in dem Ort eintraf.


    Für mich hat diese Sache nur einen Haken, wenn er in Leipzig-Kleinzschocher verstorben ist, käme eine Verzögerung des Sterbeeintrages nicht in Betracht.
    Bist du sicher, dass er in Leipzig-Kleinzschocher verstorben ist und nicht nur die Urkunde dort erstellt wurde, weil es sein Geburts-/Wohnort war?
    Ist in den Urkunden aus der DDR-Zeit nebst dem Todesdatum auch ersichtlich, wann die Original-Urkunde erstellt worden ist?


    Gruss
    Svenja

  • Hallo,


    wenn die Sterbeurkunde erst zur DDR-Zeit - also mindestens 45 Jahre später - ausgestellt wurde, könnte es sehr gut sein, dass das genaue Sterbedatum nicht mehr bekannt war. Ich weiß nicht, ob in der DDR die Verlustlisten einzusehen waren.


    Daher tippe ich mal, dass die Angehörigen zumindest wussten, dass er bis März 1915 noch lebte und irgendwann später im 1. WK fiel (oder sonstwie verstarb - Grippe? Wundstarrkrampf aufgrund der leichten Verwundung von 1916?).
    Das Sterbedatum könnte dann "von amtswegen" auf den 01.04.1915 datiert worden sein, was dann nichts anderes heißen würde als: "irgendwann ab dem 01.04.1915 im 1. WK verstorben".


    Ich tippe auf diese Variante, da der 01.04. doch ein ziemlich "glattes" Datum ist. Das kommt häufiger vor, wenn Geburts- oder Sterbedaten "von amtswegen" festgelegt werden, da das genaue Datum nicht (mehr) bekannt war.


    (Sogar heute noch, z. B. bei unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen ohne Papiere, die ihr Geburtsdatum nicht genau kennen (weil zu jung, kein Schulbesuch im Heimatland, überstürzte Flucht im dem Chaos von Kriegen/Bürgerkriegen und dadurch keine Papier mehr ...) Da wird dann meist der 01.01. des wahrscheinlichen Geburtsjahres oder der 31.12. des Vorjahres genommen, damit die- oder derjenige offizielle Papiere bekommen kann.) Das müsste bei Tausenden deutschen Kindern nach dem 2. WK übrigens ähnlich gewesen sein.


    Nur so eine Idee


    VG
    Bärbel

  • Hallo


    Zitat

    Ich weiß nicht, ob in der DDR die Verlustlisten einzusehen waren.


    Ich glaube nicht, dass man das Todesdatum den Verlustlisten entnommen hat, denn wie ich schon sagte,
    in vielen Fällen steht gar kein Todesdatum in den Verlustlisten und die Listen sind erst später erschienen.
    Zudem habe ich Egon so verstanden, das es gar keinen Eintrag zum Tod in den Verlustlisten gibt,
    sondern nur einen über eine leichte Verwundung, allerdings habe ich das nicht nachgeprüft.


    Rein theoretisch müsste damals, als Ernst starb eine Sterbeurkunde erstellt worden sein,
    egal ob er in diesem Ort verstorben ist, oder weit entfernt an der Front. Diese wurde
    aufgrund einer Meldung der Einheit oder des Lazaretts erstellt. Falls die Urkunden aus
    der betreffenden Zeit noch existieren, könnte man mal danach suchen.


    Was mir nicht ganz klar ist: Ist die Sterbeurkunde aus der DDR-Zeit eine Abschrift
    einer zum Zeitpunkt des Todes erstellten Urkunde, oder wurde sie neu erstellt, weil
    die alte Urkunde nicht mehr existierte, oder handelt es sich um eine Todeserklärung?


    Gruss
    Svenja

  • Hallo allerseits,


    vielen herzlichen Dank für Eure Beiträge zu meinem Problem. Auf Grund Eurer Erklärungsversuche habe ich das Ganze noch einmal sehr kritisch und gründlich nachgeprüft.


    Die Sterbeurkunde (keine Abschrift aus dem Register, sondern eine richtige standesamtliche Beurkundung) spricht vom 01.04.1915 als Todestag mit Uhrzeitangabe und Sterbeort Leipig. Eigentlich muß man davon ausgehen, daß diese Urkunde ein korrekter Auszug aus dem Sterberegister ist.


    Die Heiratsurkunde enthält einen Zusatzvermerk, daß der Ehemann am 01.04.1915 verstorben ist mit dem Hinweis auf die Registernummer des Sterberegisters. Auch das deckt sich mit der Sterbeurkunde.


    Der Eintrag in der Verlustliste sagt nur aus, daß ein Ernst Schwirsch aus Leipzig-Kleinzschocher als leicht verwundet gemeldet ist (Sächsische Verlustliste 311 vom 05.08.1916, Ausgabe 1084 Seite 13.834). Natürlich kann dieser Ernst Schwirsch auch ein ganz anderer sein. Aber der Vorort, bzw. der Stadtteil Kleinzschocher ist nicht riesig. Und die Wahrscheinlichkeit, daß ausgerechnet in Kleinzschocher ein zweiter Ernst Schwirsch herumgeistert, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Die Familie Schwirsch ist keine in Leipzig ansäßige Familie, sondern stammt aus dem schlesischen Kreis Militsch, genau gesagt aus Ober-Woidnikowe.


    Würde es aus Eurer Sicht Sinn machen, in der Einwohnermeldedatei von Leipzig weiter zu forschen? Falls es einen zweiten Ernst Schwirsch gibt, müßte er dort ja auch aufgeführt sein. Ist schon sehr spannend!


    Beste Grüße
    Egon

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo,


    zuerst würde ich mal den Registereintrag überprüfen. Am besten eine Kopie mit allen Randvermerken ordern. Vielleicht hilft das schon weiter.


    Viel Erfolg beim Lösen diese Rätsels.


    Gruss, Micha

  • Okay, ich werde - wie angeraten - zunächst den Originalregisterauszug als Kopie anfordern. Vielleicht gibt das ja dann schon Klarheit.
    Euch vielen Dank für die Unterstützung. Es hilft wirklich, wenn man ein Problem nicht in sich reinfrißt sondern sich mit anderen darüber austauscht. :danke:
    Herzlichen Gruß
    Egon

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

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  • Hallo Egon,


    ok, dann hätte ich noch ein paar Fragen:


    - Welches Alter ist in der Sterbeurkunde angegeben?
    - Wann hat die Witwe wieder geheiratet? - Da wurde ja wohl das Sterbedatum des ersten Ehemanns angegeben.
    - War Dein Uropa Ernst Schwirsch in Leipzig-Kleinzschocher geboren? - Du erzählst ja, dass die Familie aus Schlesien kam.
    - Gab es zu Beginn des 20. Jh. noch mehr Schwirsch-Familien in Leipzig-Kleinzschocher? Eventuell Brüder von Ernst Schwirsch?


    Meine Überlegungen dazu:


    Falls Dein Uropa bei seinem Tod so um die Anfang - Mitte 40 (oder etwas älter) gewesen sein sollte, könnte er durchaus schon einen Sohn gleichen Namens gehabt haben, der Soldat im 1. WK war. (Er hätte dann so zwischen 18 und 20 Jahren alt gewesen sein können.) Auch eine zweite Heirat der Witwe wäre da kein Problem und altersmäßig absolut nachvollziehbar. (Ein höheres Alter ist natürlich nie ein Ausschlusskriterium für eine Heirat - das geht auch noch mit 100+ Jahren. ;) )
    Falls es neben Ernst Schwirsch noch mehr Schwirsch-Familien in Leipzig-Kleinzschocher gab, ist - nach allem, was Du erzählst - die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Familien miteinander verwandt waren - vielleicht Brüder oder Cousins? Und dann könnte der im 1. WK verwundete Ernst Schwirsch ein Sohn eines älteren Bruders oder Cousins Deines Ur-Opas gewesen und möglicherweise nach Deinem Uropa benannt worden sein. (Vielleicht war Dein Uropa sein Pate.)
    In den Verlustlisten sind die Geburtsorte der Soldaten angegeben, nicht ihre Wohnsitze zum Zeitpunkt des Ausbruchs von WK 1.
    Überprüfe das doch mal. Vielleicht waren es ja doch zwei verschiedene (aber eng verwandte) Personen.


    Es bleibt spannend.


    Ich wünsche Dir viel Erfolg bei der Suche und ein schönes Wochenende.


    VG
    Bärbel

  • Hallo Bärbel,
    jetzt bringst Du mich aber in Wallung! In diese Richung habe ich noch nie gedacht. Heute und morgen werde ich sämtliche Unterlagen und Notizen nochmals gründlichst abklopfen, mit besonderem Schwerpunkt auf Deine Gedankengänge. Am Montag berichte ich dann.
    Vielen Dank für dieses "Querdenken"!
    LG
    Egon

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

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  • Jippih! Danke Bärbel und danke Euch allen!


    Ernst Schwirsch hatte tatsächlich einen Sohn namens Ernst gehabt. Und dieser taucht dann logischerweise auch in der Verwundetenliste auf. Mittlerweile habe ich auch von ihm das Geburtsdatum ( 06.11.1893) herausgefunden und weiß - dank dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge - daß er am 07.07.1944 in Portes/Frankreich gefallen ist. Ich muß mir jetzt nur noch die entsprechenden Nachweise beschaffen.


    Das Rätsel, bzw. das scheinbare Paradoxum ist gelöst! Schön, daß es im Forum Gleichgesinnte gibt, die einem die Tomaten aus den Augen entfernen! :danke:


    Nochmals ein herzliches Dankeschön an alle. Euch allen wünsche ich einen schönen und vom Wetter begünstigten Maifeiertag.


    Egon

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


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