Heirat der (angeheirateten) Stiefmutter?

  • Hallo zusammen,


    ich bin über folgende Abfolge von Ehen (katholisch, südlicher Landkreis Passau um 1700) gestolpert:


    (1) Georg H. oo Margaretha -> Kind Martin B.


    (2) Witwe Margaretha oo Stefan K.


    (3) Witwer Stefan K. oo Maria


    (4) Witwe Maria oo Martin B.


    In der Ehe (4) heiratet also der Martin B., das Kind aus Ehe (1), seine eigene "angeheiratete Stiefmutter", nämlich die Witwe seines verstorbenen Stiefvaters Stefan K aus der Ehe (3). Zwischen den beiden besteht keinerlei Blutsverwandtschaft, so dass nach gültigem deutschen Familienrecht kein Ehehindernis vorliegen würde. Gültiges deutsche Familienrecht hat aber natürlich 1700 nicht gegolten, hier war das katholische Kirchenrecht ausschlaggebend. Kann mir jemand sagen, was das Kirchenrecht zu einem solchen Fall sagt? Die Heiratsmatrikel enthält keinerlei Vermerk, weder zu einem Dispens noch eine sonstige Bemerkung, die darauf schließen lassen würde, dass der Pfarrer irgendeine Besonderheit gesehen hätte.


    :danke: und schöne Grüße


    Ulrich

  • Hallo Ulrich,


    eine Verständnisfrage: wieso hat der Sohn Martin von Georg H. den Familiennamen B.?

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Ulrich,


    ich kann Dir zum Kirchenrecht in Deinem Fall nicht helfen, aber weil´s so schön passt, etwas zum Schmunzeln:


    Sehr geehrter Herr Pfarrer!


    Wie Sie wissen, habe ich eine Witwe geheiratet
    mit einer zwanzigjährigen Tochter.
    Die hat dann mein Vater geheiratet.
    Mein Vater wurde also mein Schwiegersohn,
    meine Stieftochter meine Mutter.
    Als meine Frau den Jungen kriegte,
    war das der Schwager meines Vaters
    und gleichzeitig mein Onkel
    (als Bruder meiner Stiefmutter).
    Nun hat meine Stiefmutter,
    die ja zugleich meine Stieftochter ist,
    vorgestern ebenfalls einen Jungen bekommen,
    und der ist nun also sowohl mein Bruder
    als auch mein Enkel!
    Ich selbst aber bin der Mann meiner Frau und ihr Enkel
    (als Sohn ihres Schwiegersohnes).
    Meine Frau ist meine Großmutter
    (als die Mutter meiner Stiefmutter).
    Und da der Mann meiner Großmutter mein Großvater ist,
    bin ich nun mein eigener Großvater.


    Wann kann ich mal vorbeikommen?


    Quelle: Internet


    Viele Grüße, Ursula

    Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Ich gieß Wasser zur Suppe und heiß alle willkommen.


    Viele Grüße, Ursula

  • >> eine Verständnisfrage: wieso hat der Sohn Martin von Georg H. den Familiennamen B.?


    Weil um 1700 herum in dieser Gegend wild zwischen echten Familiennamen (in väterlicher Linie vererbt - FN) und Hofnamen HN hin und her gesprungen wurde. Ich habe Fälle, wo die gleiche (männliche) Person im Laufe ihres Lebens unter vier verschiedenen Namen (nicht nur Schreibweisen) geführt wurde. In diesem Fall trägt der Vater Georg den HN H. und bei der Hochzeit des Sohns hat der Pfarrer aber seinen FN B. eingetragen. Ob dieser FN wirklich der korrekte war oder ob der fälschlich angenommen wurde, sei mal dahingestellt.


    >> aber weil´s so schön passt, etwas zum Schmunzeln:


    Nun, zumindest schön erfunden, würde ich sagen ;)


    Schöne Grüße


    Ulrich

  • Hallo Ulrich,


    wieder was gelernt! über Hofnamen habe ich natürlich schon gehört, hatte aber nie wirklich Kontakt damit.


    Zu deiner Frage:
    Stefan K. ist durch die Heirat mit Martins Mutter Margaretha sein Stiefvater geworden. Das dürfte klar sein.
    Wenn nun der verwitwete Stiefvater erneut heiratet (Maria) ergibt sich die Frage - wird Maria damit Stiefmutter des Martin?
    Das ist etwas komplex, zu komplex um einfach dem Gefühl nach zu sagen 'nein, ist sie nicht'.
    Ich habe etwas recherchiert, aber nichts zu diesem speziellen Fall gefunden.
    Das einzige Stichwort in die Richtung ist die Adoption von Stiefkindern. Aber auch dazu habe ich nichts zielführendes gefunden.


    Nun bin ich nicht so richtig gut beim guugeln, da kann man vielleicht doch was finden.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Mit HN kann ich jederzeit ausgiebig dienen. Mein eigener FN lässt sich auf einen HN zurückführen, der "hängen geblieben" ist und nicht später durch einen FN ersetzt wurde. Wobei: Wenn er korrekt ersetzt worden wäre, dann wäre es nur ein anderer HN, also auch egal ...;-))


    Nun, rein von der Logik her wurde die Maria die Stiefmutter, wenn sie den Stiefvater heiratet, würde ich argumentieren (Adoption von Stiefkindern gab es zu der Zeit nicht, das ist erst eine spätere Erfindung). Aber war das nach Kirchenrecht ein Ehehindernis oder nicht? Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, nein, aber ich habe auch schon Fälle gesehen, wo ich ebenfalls nein gesagt hätte und dann musste ein Dispens eingeholt werden.


    Danke und schöne Grüße


    Ulrich

  • Hallo Ulrich,


    nun habe ich doch was gefunden: hier sind die diversen Ehehindernisse aufgeführt.


    Da heißt es:


    Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft (cann. 1091 und 1092 CIC/83)
    Das Hindernis ist in der geraden Linie bei allen Verwandtschaftsgraden gegeben ...

    Die Schwägerschaft entsteht aus jeder kirchenrechtlich gültigen Ehe zwischen
    dem Mann und den Blutsverwandten der Frau und umgekehrt. Das trennende
    Ehehindernis besteht nur in allen Graden der geraden Linie
    (Schwiegervater-Schwiegertochter, Stiefvater-Stieftochter). Das Hindernis ist
    kirchlichen Rechts und daher dispensabel.

    (als Quelle ist vermerkt:
    Literatur: Codex iuris canonici - Codex des kanonischen Rechtes. Kevelaer 1983)


    Damit scheint die Kernfrage des Problems "ist Maria durch die Ehe mit Stefan K. die Stiefmutter von Martin B. geworden?"
    Nur wenn das der Fall wäre (als Stiefmutter "zweiten Grades"?), müsste nach obiger Beschreibung ein Dispens eingeholt werden.


    Vielleicht ist aber dieser Fall so selten, dass die Entscheidung, ob ein Dispens erforderlich ist oder nicht, einfach vom Pfarrer gefällt wurde.
    Oder: der Pfarrer hat schlicht vergessen, den Dispens zu notieren
    .

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • >> Die Schwägerschaft entsteht aus jeder kirchenrechtlich gültigen Ehe zwischen dem Mann und den Blutsverwandten der Frau und umgekehrt.


    Hier wäre m.E. "und umgekehrt" anzuwenden: Es existierte eine kirchenrechtlich gültige Ehe zwischen der Frau und dem Stiefvater des Mannes, aber nachdem der Stiefvater kein Blutsverwandter ist, trifft die Bedingung der Schwägerschaft nicht zu. Schlussfolgerung: Es gab kein kirchenrechtliches Hindernis und daher auch keinen Zwang zu einem Dispens. Einen Kirchenrechtler bräuchte man in der Verwandtschaft ...;-))


    >> Vielleicht ist aber dieser Fall so selten, dass die Entscheidung, ob ein Dispens erforderlich ist oder nicht, einfach vom Pfarrer gefällt wurde.


    Ich würde eher annehmen, dass in genau einem solch seltenen Fall der Pfarrer NICHT entschieden hat, sondern die heiße Kartoffel seinem Bischof über den Tisch geschoben hat ...;-))


    >> Oder: der Pfarrer hat schlicht vergessen, den Dispens zu notieren.


    Das ist eine sehr begründete Anmerkung, weil nachweisbar ist, dass Dispense systematisch in einem zu geringen Umfang notiert wurden. In Fällen, die klar einen Dispens brauchten, weil die Verwandtschaft belegt ist, wurde nichts notiert, was natürlich die Frage aufwirft: Wurde nicht notiert oder wurde gar nicht eingeholt? Gefühlsmäßig tendiere ich eher (aus Kostengründen) zur zweiten Erklärung, aber ich habe ehrlich gesagt keinen Beweis dafür.


    Danke und schöne Grüße


    Ulrich