(Un)gewöhnliche Todesursache?

  • Ob der Pastor mit „gewöhnlich“ vielleicht „geläufig“ gemeint hat? Pocken, Masern, Scharlach, Windpocken waren Kinderkrankheiten, die sehr oft zum Tod führten.

    Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Ich gieß Wasser zur Suppe und heiß alle willkommen.


    Viele Grüße, Ursula

  • Hallo Ursula!


    Bis jetzt wurden alle Todesursachen auch bei Kindern und Erwachsenen explizit eingetragen.


    Der Arzt, der den Artikel schrieb ein Dr. West. Hab seine Daten verglichen und es tatsächlich ein Vorreiter - oder Pionier - im Bereich der Epileptologie. Die Epilepsieform, die er beobachtete, wurde zu seinen Ehren (postmortem) als "West-Syndrom" genannt. Die Anfälle werden oft nicht bemerkt, weil sie wie ein Erschrecken wirken. Das ist ansich für den Ort interessant, weil da viele Kinder an "Frais" - also Epilepsie - im Säuglingsalter verstarben. Wenn der "gewöhnliche" Tod einen Zusammenhang zu Epilepsie gibt, ist das ein - wissenschaftlich - sehr interessantes Dorf. ;-)


    Ich hab jetzt einen renomieren Epileptologen angeschrieben, der sich mit der Epilepsie im Altertum beschäftigt hat. Mal sehen, was er dazu meint.


    LG, Manuela

  • Hallo Manuela,


    eine kleine Korrektur: aus dem Bayern des 18./19. Jahrhundert gibt es auch viele Fälle von Frais/Froas/Fraisen etc. Die Krankheit, die bei Säuglingen im Alter von etwa einem Monat meist immer zum Tod führte, war aber nicht Epilepsie. Zwar gab es unter den Symptomen auch Krampfanfälle, Zuckungen und Augenverdrehen. Ursache war aber vielmehr ein Kalk- und damit VitaminD-Mangel, der durch fortwährende Schwangerschaften der Mütter bereits im Mutterleib angelegt war. Die Mütter hatten ohne zusätzliche Milchzufuhr schlichtweg nicht die Vitamin-Kapazitäten, um dauerhaft über manchmal 25 Jahre alle 1-2 Jahre Kinder zu gebären. Die Folge war, dass das Baby mit Geburt bereits dem Tod geweiht war, es gab keine Möglichkeit, die Zufuhr später noch nachzuholen.


    In einigen Kirchenbuch ist Frais seitenweise als Todesursache der Säuglinge angegeben. Unwahrscheinlich auch, dass diese allesamt an epileptischen Anfällen starben. Die Ursache war, wie beschrieben, schlicht der fehlenden Kuhmilch und damit der Armut sowie der Unwissenheit geschuldet, die Geburten in solchen Situation besser in einem 2jährigen Rhytmus erfolgen zu lassen.


    Beste Grüße
    Andreas


    PS: Jedoch natürlich nicht auszuschließen, dass Todesfälle durch Epilepsie auch der Mangelerkrankung Frais zugeordnet wurden. Dies würde ich insbesondere bei wenigen Todesfällen bei Säuglingen in einer Familie durchaus in Betracht ziehen. Ob dies dann tatsächlich auf Epilepsie, schlechter Ernährung der Säuglinge durch schwer verdaulichen Brei und damit Koliken oder anderes zurückzuführen war, lässt sich natürlich dann nicht mehr genau feststellen.

  • Hallo Andreas,


    Danke für die ausführliche Erklärung.


    Zitat

    Die Ursache war, wie beschrieben, schlicht der fehlenden Kuhmilch und damit der Armut


    In einem anderen Buch las ich, dass zeitgleich, wenn Pocken herrschten, viele Kühe starben - was wohl dann die Kuhpocken waren. Da mir auffiel, dass ein Familienname erst ab 1690 auftauchte, sah ich nach, was die Geschichte des österreichischen Dorfes war: sie wurde 1684-86 (weiß nimmer genau) Opfer des Türkenkrieges, wo die Kirche niedergebrannt wurde. Wo es die Kriegsleute gab, gab es für die Bevölkerung auch großen Schaden. Pocken herrschte eh - also jede Menge Mangel, der im Körper herrschen konnte.


    Also herzlichen Dank nochmals. So ein Hintergrundwissen (wie Du es gabst) ist - für mich - sehr wertvoll. :thumbsup:


    LG, Manuela

  • Besonders falls jmd. später mal den "gewöhnlichen" Tod sucht, eine Anmerkung (ich bekam grad die Antwort des o.g. Epileptologen):


    Zitat

    ein 'gewöhnlicher Tod‘ ist m. E. eine Bezeichnung für einen Tod, der auch durch eine Obduktion in seiner Ursache nicht aufgeklärt werden kann, weil sich an sämtlichen inneren Organen kein pathologischer Befund erheben lässt, alle Organe sehen ‚ganz gewöhnlich‘ aus. Ein sehr eindrückliches Beispiel für einen solchen Tod scheint mir der ‚plötzliche Kindstod‘ (SIDS = Sudden Infant Death Syndrome) zu sein, der immerhin in den Ländern unseres Kulturraums als die häufigste Todesursache von Kleinkindern jenseits der Neugeborenenzeit gilt (er tritt am häufigsten im 1. Lebensjahr auf, kann sich aber auch bei sehr jungen Kleinkindern einstellen). Die Obduktion lässt keine Auffälligkeiten an den inneren Organen erkennen, die als Todesursache in Frage kommen könnten. Hinweise für epileptische Anfälle als Todesursache wurden bisher nicht gefunden.


    ...


    Ich möchte Ihre Frage also so beantworten: Ein 'gewöhnlicher Tod‘ bei Säuglingen und Kleinkindern hat m.E. mit Epilepsie in aller Regel gar nichts zu tun. Ich würde also bei der von Ihnen vorgenommenen Aufstellung den ‚gewöhnlichen Tod‘ nicht (auch nicht ‚verdachtsmäßig) als Hinweis für eine Epilepsie nehmen. Verlegenheitsdiagnosen der Obducenten wie ‚Hirnschlag‘ oder ‚Neuroparalyse‘ haben keinen sachlichen Hintergrund.

  • Mir ist aufgefallen, dass als Todesursache bei Kindern im ersten Lebensjahr in extrem vielen Fällen "Krämpfe" angegeben sind. Ich gehe davon aus, dass dies in den meisten Fällen Fieberkrämpfe waren und nicht epileptische Anfälle.
    Vitaminmangel als Todesursache kannte ich noch nicht.