Wie ich vor einiger Zeit unter Eheeintrag gibt Rätsel auf: Geänderte Schreibweise des Nachnamens schrieb, gibt es zwischen dem Eheeintrag der ersten und dem der zweiten Ehe meines Großvaters (den ich nie kennen gelernt habe, da er lange vor meiner Geburt gestorben ist) erhebliche Diskrepanzen, selbst die Schreibung des Nachnamens stimmt nicht überein. Nachdem die beiden Standesämter mir keine Auskunft zu den Gründen dafür geben konnten und mir lediglich mitgeteilt wurde, in den Nachkriegswirren sei es häufiger vorgekommen, dass Geburtsurkunden nicht verfügbar waren und die Standesbeamten sich auf die Angaben der Beteiligten verlassen mussten, sodass es häufig zu Fehlern kam, nahm ich an, es wäre halt einfach ein Versehen gewesen.
Ich ließ mir dann jedoch die Sammelakte der ersten Ehe schicken (die der zweiten soll laut Standesamt keine nennenswerten Inhalte haben) und bin dabei auf erstaunliche Details gestoßen.
Erst einmal ist dort sein Vater angegeben, oder besser gesagt sein "Erzeuger", wie man ihn bezeichnete, da er die Vaterschaft nie anerkannte, der in den offiziellen Urkunden nicht erwähnt wird. Es findet sich von diesem eine Geburtsurkunde, eine Erklärung des Amtsgerichts des Geburtsortes, dass er als Vater angegeben wurde, die Vaterschaft aber nicht anerkannt habe, und eine Erklärung der Mutter (also meiner Urgroßmutter), dass sie auf Wunsch ihres Pflegevaters "keine weiteren gerichtlichen Schritte in Bezug auf die Vaterschaftsanerkennung" unternommen habe. Ihr Pflegevater habe meinen Großvater "als Sohnesstatt" (sic!) angenommen und ihm "eine geordnete Erziehung" zukommen lassen.
So weit, so spannend. Ich habe gewisse Zweifel daran, ob der so genannte Erzeuger tatsächlich der Vater ist. Die Erklärung meines Großvaters, dass laut seiner Mutter nur der "Erzeuger" als solcher in Frage käme, endet nämlich mit den Worten, auf die es damals wohl vor allem ankam: "Ein Jude kommt nicht in Frage." Andererseits weiß man ja selbst bei ehelichen Kindern nicht, ob sie nicht doch Kuckuckskinder sind ...
Das aber nur zur Erklärung. Worum es mir eigentlich geht, ist, dass in der Sammelakte die Geburtsurkunde meines Großvaters fehlt, ebenso die seiner Mutter. Lediglich die seines Erzeugers ist vorhanden, allerdings als beglaubigte Abschrift. Laut Auskunft des Standesamtes hat er sich seine Geburtsurkunde aus der Sammelakte nach dem Krieg aushändigen lassen. Und tatsächlich findet sich der Vermerk, die folgenden Unterlagen seien am 4.10.1948 an ihn zurückgeschickt worden:
1 Geburtsurkunde d. Mutter, Königshütte O/S. 921/896 (Standesamt)
1 Geburtsurkunde, Würben 5/1918 (Standesamt) [seine eigene]
1 Nichtanerkennung d. Vaterschaft, Grottkau v. 22/2. 37 (Amtsgericht)
1 Geburtsurkunde d. Erzeugers, Niederhermsdorf 14/1887 (Standesamt)
1 Abschrift d, Amtsvorstehers i. Wiesengrund O/S, v. 1.3.1937. [Die Erklärung der Mutter]
Das steht zunächst im Widerspruch dazu, dass nur die beiden ersten Dokumente in der Sammelakte fehlen, die übrigen drei aber vorhanden sind. Das löst sich aber dadurch auf, dass die drei Dokumente als beglaubigte Abschrift vorliegen, bei der Erklärung der Mutter sogar als "beglaubigte Abschrift von Abschrift", alle datierend auf den 4. Oktober 1948. Offensichtlich hat das Standesamt vor der Rücksendung Abschriften der den "Erzeuger" betreffenden Dokumente angefertigt.
Man könnte jetzt meinen, er hätte die Unterlagen für seine zweite Heirat am 15.10.1948 gebraucht. Aber nach Auskunft des Standesamtes hat er dafür nur die Heiratsurkunde der ersten Ehe und das Scheidungsurteil vorgelegt (und leider wieder mitgenommen, daher nicht in der Sammelakte vorhanden, denn Kopierer gab es ja noch nicht), aber keine Geburtsurkunde. Obwohl er die ja eigentlich gerade zurückerhalten hatte!
Das stimmt auch damit überein, dass der zweite Heiratseintrag keine Angaben zu den Eltern (also auch nicht zur Mutter) enthält und auch nicht die Nummer seines Geburtseintrages. Hätte er die Geburtsurkunde vorgelegt, hätte das ja drin gestanden.
Ich kann es mir nur so erklären, dass er vor der Heirat aus irgend einem Grund Spuren verwischen wollte, und deswegen die Unterlagen zurückgefordert hat, um dann kurz darauf bei der Heirat einfach zu behaupten, sie seien im Krieg verloren gegangen. Vermutlich hat er aus dem selben Grund auch in seinem Namen ein j in ein y verändert (und damit dafür gesorgt, dass ich so heiße, wie ich heiße, und mich darüber wunderte, dass der Name so extrem selten ist). Das ist (zum Glück für mich) zum Teil schief gelaufen, weil das Standesamt von den wichtigsten Dokumenten beglaubigte Abschriften zurück behielt. (Vermutlich haben sie ihm die sogar noch in Rechnung gestellt, denn es klebt je eine Gebürenmarke zu 0,60 RM drauf.)
Ich frage mich, warum er so gehandelt hat. Wollte er nur die uneheliche Herkunft vertuschen? Oder hatte er gar etwas auf dem Gewissen, wovon nach 1945 keiner etwas wissen sollte? Wahrscheinlich werde ich es nie erfahren.
Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht, dass Vorfahren vielleicht etwas vertuschen wollten? Oder gibt es andere Erklärungen für ein solches Verhalten?