Berlin, Kirschallee ?

  • Hallo,


    ein "Problem" für Berlin-Spezialisten :help:


    In einem Heiratseintrag von 1846 ist als Wohnort des Bräutigams die Kirschallee eingetragen. Da es ein armer Mensch war, ist er im Namenverzeichnis der Berliner Adressbücher nicht zu finden. Also: Suche im Straßenverzeichnis. Überraschung - die Straße taucht da nicht auf ?( . Im Lexikon der Berliner Straßen und Plätze ist die Straße aufgeführt, sie heißt von 1733 bis 1860 Kirschallee, seither Scharnhorststraße. Sie gehörte damals zum Polizeirevier 28, Eisengießereibezirk, Chausseestraße (später in der Invalidenstraße). Die Straße ist eine Seitenstraße der Invalidenstraße, zwischen Heidestraße und Chaussestraße.


    Also ich weiß schon ein wenig über die Straße, aber wieso taucht sie im Adressbuch nicht auf :?: :?: :?:


    Ist sie evtl. für's Adressbuch jwd?


    Bin für jeden Hinweis dankbar :)

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • hallo jörg,


    die straße liegt an sich ziemlich zentral, an der grenze der bezirke mitte/wedding. in der scharnhorststraße befindet sich heute das bundeswehrkrankenhaus, einige größere leerstehende grundstücke mit heruntergekommenen bauten in der direkten umgebung, die nach industrie aussehen, untermauern deine bisherigen forschungen. es gibt da vereinzelte altbauten aus der gründerzeit, aber nicht eben viele und ich habe zugegeben auch nie darauf geachtet, wie sie baulich aussehen (ob es eher was einfaches war oder etwas schicker mit stuckelementen). direkt in der chausseestr. finden sich eher schickere bauten, was nicht überrascht, weil da schon wieder die nähe zur charite und zur friedrichstr. (verlängerte chausseestr.) deutlich wird, die seinerzeit schon namhafte orte waren. also jwd war das, in dem von dir genannten zeitraum, ganz sicher nicht, da gabs noch weiter entferntere gegenden. allerdings liegt das oranienburger tor, früher einmal ein stadttor, rund 500 meter von der ecke invaliden-/chausseestr. entfernt, d.h. die scharnhorststr. lag ausserhalb der stadtmauern. die errichtung der verschiedenen stadttore (rosentaler tor, spandauer tor etc.) hatte aber, glaube ich, nur was mit zollangelegenheiten zu tun. die stadt dürfte zu dieser zeit aber schon weit darüber hinaus gegangen sein. wenn du willst, kannst du selbst nochmal nachlesen, da die errichtung des oranienburger tors genau in deinen suchzeitraum fällt -> http://de.wikipedia.org/wiki/Oranienburger_Tor . interessant könnte für dich auch der hobrecht plan sein -> http://de.wikipedia.org/wiki/Hobrecht-Plan. der stadtbaurat hobrecht hatte wesentlichen anteil an der berliner stadtentwicklung im 19. jahrhundert. sein konzept der bebauung ist im sogenannten hobrecht plan verankert.


    grüssle


    lexxus

  • Hallo lexxus,


    vielmals :danke: für deinen Beitrag. Die Details zum Oranienburger Tor kannte ich noch nicht, finde ich sehr interessant. Zum Hobrecht-Plan habe ich im Witte, Geschichte Berlins schon ausführlich gelesen. Da ist die für die soziale Entwicklung Berlins so grottenfalsche Entscheidung und ihre Folgen ziemlich genau beschrieben (Mietkasernen mit zig winzigen Hinterhöfen, katastrophale hygienische Verhältnisse usw.), wikipedia sagt auch einiges dazu, bleibt aber doch an der Oberfläche.


    Ich habe jetzt nochmal in den Adressbüchern gesucht, die Kirschallee taucht ab 1855 auf, ich hab dann auch mal nach der ja ungleich wichtigeren Invalidenstraße gesehen: auch die finde ich erst ab 1855. Also muss ich wohl schließen: fürs Adressbuch doch jwd, weil hinter den Stadttoren. Vielleicht suche ich aus Neugier mal andere Straßen knapp außerhalb der alten Stadtmauer - einfach um meine derzeitige Hypothese zu prüfen. Nur nicht jetzt, keine Zeit.
    Übrigens ist die Ecke an Invalidenhaus und Gnadenkirche vermutlich damals ein wenig erfreuliches Kiez gewesen: die Zuständigkeit von Polizeirevier 28 für einen "Eisengießereibezirk" (von dem ich bisher noch nie was gehört hatte) deutet auf Anfänge der Industrie, wo schlecht bezahlte Arbeiter schwerste und dreckige Arbeit leisten mussten. Und die konnten sich allenfalls Mini-Untermiet-Zimmer leisten. Schon deshalb sehe ich kaum Chancen den Uropa im Adressbuch zu finden, aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • hallo jörg,


    es ging noch billiger, als nur zur untermiete zu wohnen. ab 1850 befinden wir uns ja in einer zeit, wo berlin, aufgrund des bewölkerungszuwachses vom land, aus den nähten platzte und man mit dem bauen nicht hinterherkam. es mussten also schleunigst unmengen an häusern errichtet werden. noch während die häuser im bau waren, also unverputzt, ohne sanitäre anschlüsse etc, wurden die wohnungen zu spottpreisen vermietet. man nannte das dann "trockenwohnen", weil die luftfeutugkeit in den gebäuden durch den putz, der noch trocknen musste, enorm hoch war. durch die enge bebauung war zudem eine schlechte belüftung gegeben, so dass es lange dauerte, bis die häuser für normale vermietung tatsächlich bezugsfertig waren. nicht nur die hohe luftfeuchtigkeit und die schlechte belüftung waren gesundheitlich äusserst problematisch, sondern ich nehme an, auch die damit verbundene schimmelbildung (mit der altbaubewohner noch heute zu kämpfen haben, ich übrigens auch).


    was ich aber eigentlich damit sagen will: es dauerte zwar verhältnismässig lange (im vergleich zu heute), ehe ein haus nach der errichtung bezugsfähig war, aber eben nicht ewig, was dazu führte, dass menschen, die sich nur solche wohnungen leisten konnten, alle paar monate umzogen. hast du mal geschaut, ob du deinen vorfahren möglicherweise auch unter anderen adressen im berliner adressbuch ausfindig machen kannst oder hast du immer gezielt nach der kirschallee gesucht?


    grüssle


    lexxus

  • hallo jörg,


    ich hab gerad nochmal bei google-maps geschaut, weil ich meinte, dass es so eine straße auch in charlottenburg (neu-westend) geben müsste und mein gedächtnis hat mich nicht ganz getrogen. allerdings heisst die straße, an die ich dachte kirschenallee. schreibfehler gibts ja immer mal, insofern wäre es vielleicht interessant mal zu gucken, wo die kirche lag, in der geheiratet wurde. westend und mitte liegen weit genug auseinander, so dass zumindest eine eindeutige identifizierung möglich sein sollte. allerdings weiss ich bezüglich der kirschenallee nicht, wie lange diese straße unter diesem namen schon existiert. da ich sie aber kopfsteinbeflastert in erinnerung habe, dürfte sie nicht wirklich neu sein, wenn überhaupt also nur der straßenname.


    grüssle


    lexxus

  • Hallo,


    darf ich mich anhängen? Ich suche in Berlin den Franzweg, Kolonie Reiche. :?: Ebenfalls irgendwie nicht verzeichnet. ?(


    Aus Melderegisterauskunft Berlin Reinickendorf war das 1955 ein letzter Wohnort.


    Herzlichen Dank.


    mfg

    toter Punkt: Friedrich LUTHER * 04.02.1813 in ???
    einer der Landkreise der Provinz Pommern
    (Luther/Luthe/Lutter/Zuther/Zutter)

  • Hallo lexxus,


    welche der insgesamt fünf Kirschalleen die richtige ist, ist problemlos zu beantworten: es ist die an der Invalidenstr. und heißt heute Scharnhorststr. - wie schon am Anfang gesagt. Denn - und das hatte ich nicht gesagt, deine Rückfrage also vollkommen berechtigt - das Pärchen ist 1846 in der Gnadenkirche getraut, und die ist am südlichen Ende der Kirschallee, praktisch Ecke Invalidenstr. (und die anderen vier Kirschalleen gabs 1846 noch nicht).
    Da die Adressbücher damals nur die Hauseigentümer, Wohnungsmieter und bestimmte "wichtige" Leute (also vor allem Mitarbeiter der staatlichen Organe) aufführten, dadurch fielen viele Bewohner durch das Raster und werden in den Büchern nicht genannt - das ist (fast) die ganze Unterschicht. Und "Trockenwohner" sind bestimmt nicht als normale Mieter einsortiert worden, ich denke dass auch die unter fast unvorstellbaren Bedingungen gahaust - nicht gewohnt - haben, vier Familien in einer 4-Zimmer-Wohnung, sanitäres auf dem Hof, oft gab's nicht mal eine Küche! Der schon erwähnte Witte ist da eine gute Quelle.


    Ich finde genau diese Familie ab Ende der 80er Jahre in den Adressbüchern. Da wohnten sie schon lange woanders, z.B. 1849 (Geburt des ältesten Sohnes) in der Gr. Hamburger Str. also 2 km oder so entfernt, gleiches Kiez. Übrigens habe ich gerade (als ich die alten Stadtpläne für sting mal durchsah) entdeckt, dass es in der Invalidenstr., Höhe Louisenplatz, eine Kgl. Eisengiesserei gab was die Bezeichnung für das Polizeirevier erklärt.


    Es ist interessant, was alles ans Licht kommt, wenn man sich mal etwas tiefer mit so einem kleinen eigentlich sekundären Problemchen auseinandersetzt.


    :danke: lexxus für dein Engagement, es hat mir viel gebracht. Falls du zufällig mal drauf stößt, warum die genannten Straßen, also zB auch die Invalidenstr. nicht im Adressbuch sind - es würde mich sehr interessieren.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo sting,


    der Franzweg ist erstaunlicherweise im Lexikon Berliner Straßen und Plätze


    http://adressbuch.zlb.de/searc…r=1&CatalogCategory=strpl


    nicht aufgeführt.
    Beim googeln bin ich auf die Seite eines Ahneforschers gestoßen mit dem Eintrag LUTHER, Martin Wilhelm Otto; * 20.11.1913 in Wittenberge/Westprignitz; + 31.12.1955 in Berlin-Wittenau, Kolonie Reiche ...
    (womöglich deine hp?)

    In den älteren Berliner Stadtplänen, die ich Netz gefunden habe konnte ich in Wittenau (soweit es überhaupt auf den Plänen drauf, ist ja ziemlich draußen) weder einen Franzweg noch überhaupt Kolonien finden. Lediglich mein "Berlin in der Tasche" von 1932 zeigt in Wittenau mehrere Kolonien, leider sind nur zwei mit ihren Namen genannt, eine der unbenannte könnte also die Kolonie Reiche sein. Das war höchstwahrscheinlich auf gut berlinerisch eine Lauberpieper-Kolonie (hochdeutsch: Schrebergarten- oder Kleingarten-Gelände) , es gab meist innerhalb der Kolonie benannte Wege. Diese Namen waren eine interne Sache des Kleingärtner-Vereins, waren also inoffiziell! 1955 war Wohnraum in der Stadt noch sehr knapp und wurde stark bewirtschaftet, dadurch wohnten viele in diesen Kleingarten-Kolonien, was zwar eigentlich nicht sein sollte, aber von allen Seiten stillschweigend geduldet wurde (Auch für die Behörden galt damals "in der Not frisst der Teufel Fliegen" :D ). Das ist im Moment für mich die einzige schlüssige Antwort auf dein Problem.
    In Berlin gab und gibt es unglaublich viele in Vereinen organisierte Laubenpieper, es gab oder gibt sicher eine Art "Ober-Organisation" dieser Vereine. Geh mal auf http://www.berlin.de , Suchabfrage "Kleingarten", da kommt einiges dazu, vielleicht auch eine Adresse, die dir ggfs weiterhelfen kann. (Sorry, so tief bin ich dann nicht mehr eingestiegen, ich kenne die Details nicht).


    Viel Erfolg bei der weitern Suche!

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • hallo jörg,


    ich bin selbst sehr an der stadtgeschichte interessiert, wie man wohl unschwer erkennen kann ^^ , deshalb, kannst du mir mal den titel und ggf. auch die isbn von dem von dir erwähnten "witte" aufschreiben? kannte das buch bislang nicht, scheint aber durchaus interessant zu sein.


    übrigens, weil du schreibst, die große hamburger str. sei der gleiche kiez, wie die invalidenstr., da muss ich dir wiedersprechen. die große hamburger str. gehörte zum scheunenviertel, eine gegend, wo damals viele juden lebten, weshalb auch heute noch viele spuren darauf hinweisen (u.a. die synangoge). zudem liegt das innerhalb der stadttore, wenn mich nicht alles täuscht. wenn du mal in berlin bist, solltest du das unbedingt in eine sightseeingtour mit einplanen, es ist eine wirklich schöne ecke, besonders, wenn man sich auch auf die nebenstraßen, fern von aller noblesse, einlässt.


    grüssle


    lexxus

  • Hi lexxus,


    da habe ich wirklich geschlampt, klar liegt die Gr. Hamburger innerhalb der Stadtmauer ... :wacko:
    Vom Forentreffen in Hannover fahre ich nach Berlin :thumbup: , ein Tag ist für eine ausführliche Begehung der ganzen Ecke dort eingeplant. Bin sehr drauf gespannt :) !


    Hier das erwähnte Buch:
    Geschichte Berlins, herausgegeben von Wolfgang Ribbe ( :zuck: wie komme ich bloß auf Witte ?)
    Erster Band: Von der Frühgeschichte bis zur Industrialisierung
    Zweiter Band: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart
    Verlag C.H.Beck, München,
    ISBN 3 406 31591 7
    Ich habe die 2.Auflage von 1988


    Es ist anscheinend nicht mehr im Buchhandel, mir hat "mein" Antiquar das Werk gezeigt "das wär doch was für dich, oder?". 20 € musste ich abdrücken, das geht noch, bei amazon ist heute das billigste marketplace-Angebot 39 €.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • hallo jörg,


    vielen dank für die infos. ich werd einfach bei ebay immer mal gucken, da gibts schließlich nichts, was es nicht gibt. irgendwann taucht es sicher auch da mal auf.


    ich werde selbst nicht zum forentreffen kommen können, aber lass doch mal von dir hören, wenn du in der stadt bist, vielleicht kann man den rundgang gemeinsam machen und vielleicht schließt sich sogar noch der eine oder andere bärliner aus dem forum an? das wäre dann sozusagen der bonsaitreff, nach dem großen bruder, der nachtisch sozusagen :thumbsup: bzw. das beste zum schluss :P :D .


    grüssle


    lexxus

  • Hallo Anne,


    vielen Dank für den link.
    Mein Problem war allerdings nicht "welche Kirschallee und wo liegt sie", sondern "warum taucht sie in den Berliner Adressbüchern bis 1854 nicht auf?" Und das habe ich mit lexxus ja ziemlich ausführlich diskutiert.
    Die Hypothese: weil die Straße außerhalb der Stadtmauer lag (und die Ecke dort 1802 nur minimal bebaut/besiedelt war, was sich allerdings in den folgenden 50 Jahren erheblich änderte). Ich vermute dass ich eine endgültige Antwort nicht bekommen werde, aber damit kann ich leben.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Joerg,
    geh doch mal auf das Grundbuchamt oder Katasteramt sicherlich werden die Leute dort dir fachkundige Auskunft auf deine Frage geben können.

    viele Grüße
    Ulrich
    suche Volkemer >1720 Pfalz; Elsaß; Lothringen;
    Schmidt in Syrgenstein/Bayern-Schwaben und Lothringen Raum Bitsch > 1720