Einwanderungsproblem: Verwendung von deutschen oder polnischen Vornamen bei polnischer Abstammung und deutscher Staatsbürgerschaft

  • Liebe Mitforscher,


    gerne möchte ich einmal Eure Meinung zu einem typischen Einwanderer-, bzw. Auswandererproblem hören. Ich glaube sogar, daß wir das schon einmal vor Jahren hier im Forum diskutierten, doch ich finde es nicht mehr.


    Es geht um Folgendes: Meine Familie stammt aus Pomorze, bzw. der Kaschubei (späteres Westpreußen). Unser Spitzenahn wird in polnischen Dokumenten als Pawel bezeichnet, in den lateinisch geführten Kirchenbüchern als Paulus. Nach der Übernahme des Landesteils durch Preußen im Jahre 1772 werden die Vornamen meiner Familie nur lateinisch überliefert. Aus anderen Dokumenten geht jedoch hervor, daß meine Familie grundsätzlich polnisch war. So gibt es Unterlagen über Gerichtsverfahren, bei denen meine Vorfahren Dolmetscher zur Verfügung gestellt bekamen, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Soll ich nun ein in dieser Zeit geborenes Kind als einen polnischen Marcin oder einen deutschen Martin führen. Der entsprechende Taufeintrag lautet auf Martinus. Doch so wurde der Knabe mit Sicherheit nie gerufen.


    Später (1890) siedelte mein Urgroßvater nach Köln um. Von meinen Großeltern weiß ich, daß er mehr und lieber polnisch sprach. Auch wurde er Jakub gerufen, obwohl er amtlich Jakob hieß. Im Umgang mit seinen Geschwistern sprach er grundsätzlich nur polnisch. Erst bei der Generation meines Großvaters kam der Umbruch zum Deutschen. Seitdem sprechen alle deutsch und alle Kindesnamen werden in der deutschen Form verwendet.


    Wenn wir über die polnischen Vorfahren sprechen, dann verwenden wir eigentlich immer die uns geläufigen deutschen Namen; wir sprechen also von Paul und Martin, nicht von Pawel und Marcin. Doch das ist ja eigentlich verkehrt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden sie damals Pawel und Marcin gerufen, obwohl nur die lateinischen Namen beurkundet sind.


    Was mache ich nun? Soll ich beim Schreiben der Familienchronik die polnischen oder deutschen Namen verwenden? Die Verwendung der lateinischen Taufnamen erscheint mir zu abstrakt, denn in der Realität spielten sie ja keine Rolle.


    Ich kann mir gut vorstellen, daß dieses Thema in nahezu allen Familien mit Einwanderer- oder Auswandererhintergrund eine Rolle spielt. Daher meine Frage: Wer hat so etwas Ähnliches in seiner Familie und wie geht Ihr damit um?

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Damals gab es keine Staatsangehörigkeiten, kein Personalstatut und kein IPR. Welcher Name gilt kann man garnicht so einfach festlegen.


    Den Namen, der als erstes Mal amtlich verwendet wurde, würde ich nehmen. Also nicht das was im Kirchenbuch stand sondern was von der weltlichen Verwaltung verwendet wurde, weil man davon ausgehen kann, dass die Person auch diese Namensschreibung/Aussprache des Namens persönlich befürwortet hat. Wenn diese Person sogar Schreiben konnte, dann kann man davon ausgehen, dass die Person ihren eigenen Namen so geschrieben hat. Aber problematisch ist, dass die preußische Ministerialbürokratie bestimmt die polnische Identität nach der polnischen Teilung auch vernichten wollte und darum eine Verdeutschung der Namen auch konsequent in preußischen Akten durchgesetzt haben sollte.


    Wäre es in der Moderne, dann würde ich die polnischen Namen als ursprüngliche Namen verwenden, da ein erworbenes Recht(hier das Recht zum Führen eines Namens) durch Änderung der Staatsangehörigkeit nicht verloren geht.

  • Hallo Egon,


    wir haben das gleiche Problem in der Gregorovius Familie, denn sie stammen ja von polnischen Adligen ab. Im Stammbaum und auch sonst verwenden wir aber nur die deutschen Namen, sonst ist das zu verwirrend, da die Vornamen auch mal polnisch, mal lateinisch, mal litauisch, mal deutsch geschrieben wurden.


    LG Gabi

    FN Grzegorzewski (die Adligen aus Polen)
    FN Gregorovius (Ost-und Westpreußen)
    FN Kreutz ( Berlin und ? )
    FN Dannehl (Magdeburg und Umgebung, Berlin)
    FN Ludwig (Pommern,Osternothafen)
    FN Werth (Rheinland,Aachener Umgebung,Berlin)

  • Hallo Egon,


    ein interessantes Thema zu dem es meiner Meinung nach keine allgemeingültige Antwort gibt.
    Im Genealogieprogramm würde ich beide Namensvarianten erfassen - wie hängt von deinem Programm ab. Wenn es Rufnamen kennzeichnen kann (z.B. durch Unterstreichung), dann könnte ich mir "Pawel Paul FN" als Lösung vorstellen.


    Soll ich beim Schreiben der Familienchronik die polnischen oder deutschen Namen verwenden?

    Wenn du die Chronik selber schreibst - also nicht von einem Programm erstellen lässt - dann hast du doch alle Freiheiten dieser Welt.
    Schildere doch auch dort die Situation, wie du sie uns hier geschildert hast und verwende bei den polnischsprachigen Vorfahren den polnischen Namen.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo zusammen und einen schönen guten Abend!


    Mit großem Interesse habe ich Eure Beiträge gelesen, in denen Ihr mir ja verschiedene Lösungsansätze bietet. Im Programm (Ages) werde ich Jörgs Vorschlag aufgreifen. Dass das Geniale immer so einfach ist! :thumbup: Für die schriftliche Chronik, die ich tatsächlich selbst verfasse, werde ich mit meinen Kindern besprechen. Was nützt es, wenn ich da etwas zu Papier bringe und hinterher sagen die Kinder: "Hää? Wer ist denn Pawel? Ich denke, der hieß Paul!" Es ist schon verwirrend, wie Gabi auch feststellt. Und Aras Abbasi trifft des Pudels Kern mit seiner Feststellung, daß Preußen sich seinerzeit bemühte, alles polnische zu unterdrücken. Damit wird einer Minderheit ja die Kultur und Identität geraubt. Später wurde es dann umgekehrt mit der deutschen Minderheit gemacht. Das sind natürlich auch Dinge, die im Vorspann einer Chronik erwähnt werden müssen.


    Es ist schon schwierig, wenn eine Familie aus einer Nahtstelle zweier Kulturen stammt. Da lobe ich mir die Familienforschung bei meiner lieben Frau. Deren Vorfahren lebten seit 1650 in einem Dorf. Herrlich beschaulich!


    :danke: für Eure Meinungen.

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo Egon,


    ich habe das Problem auch. Einiger meiner Vorfahren waren (preußische) Polen, die KB sind in Latein. Weil dies derzeit das einzige schriftliche Dokument ist, habe ich die Vornamen so erfasst, wie ich sie gefunden habe , z. B. 'Petrus'.


    In der Region lebten ca. 60% Polen und 40% Deutsche. Ich habe auch bei meinem Großvater Martin / Marcin keine Ahnung, wie er gerufen wurde - zumal seine polnische Mutter später einen deutschstämmigen Siedler heiratete.


    Bei Auswanderern nach Amerika etc. habe ich das Problem eigentlich nicht. Da erfasse ich die Namen so (ein Beispiel) - also den Taufnamen, Rufname unterstrichen und sonstige Rufnamen, aber auch Spitznamen in einfachen Anführungszeichen.


    Johannes Heinrich 'Henry' Pfannenschmidt

  • Hallo Forscherfreunde,


    dieses Problem habe ich auch und zwar in mehrfacher Form:


    Bei der Heirat von Christoph Gottowski, Guttowski 1800 in Marienburg wird kein Hinweis auf die Herkunft des Herren vermerkt. Bei anderen Heiraten aus dieser Zeit sehr wohl. Er heiratet in der evangelischen Georgen Kirche. und er wohnt auch nicht in der Stadt sondern (Georgen Kirche) vor der Stadt, im alten Mälzhaus von Marienburg. Seine Frau trägt auch einen polnischen Namen, aber der Vater ist "Eigentümer" in Marienburg Wp.
    Gutowski oder ähnlich taucht in keinem der Kirchenbücher dort auf. Der Name kommt in vielen Orten des Ermlandes vor und schein primär aus Masuren zu kommen.
    Deshalb komme ich auch nicht weiter zurück.


    Erst 1828 wird der Sohn dann als Schuhmacher-meister Bürger der Stadt Marienburg.


    Schließlich benennt ein Urenkel in 1942 Danzig lebend den angeblich "polonisierten" Namen in Guhse um. Die heimatvertriebenen Nachkommen leben heute im Raum Hamburg.
    Ein anderer Teil der Familie lebt 1903 in Essen und Rodenkirchen und hier wird trotz der evangelischen Taufen in Marienburg katholisch als Glauben benannt.
    Die Urenkelin heiratete einen Ostpreußen. Ihren Bruder habe ich noch nicht gefunden. Er war 1903 Steiger in Essen.


    Mein direkter Vorfahr ging 1850 nach Neuruppin in Brandenburg und dort scheint es Probleme mit dem Namen nicht gegeben zu haben. Er wurde einfach fast jedes Mal anders geschrieben (!)
    Mal Gutowski, mal Guttowski und mal Guttowsky. So kam es dann in das Standesamtsregister.


    Ist schon komisch und ich muss nun nach allen drei Schreibweisen suchen. ?(


    Viele Grüße


    aus Berlin