Ahne "auf dem Felde bei Polennen Kreis Fischhausen todt gefunden"

  • Hallo zusammen!


    In einem Sterbeeintrag der evangelischen Gemeinde Quednau heißt es über den Tod meines Ahnen:


    125. Instm.[ann] Gottlieb Samlaus /[aus] Balliet ist den 19. neunzehnten November 1868 38 J.[ahre] alt
    an Erstarrung auf dem Felde bei Polennen Kr. Fischhausen todt gefunden
    u. den 24. vier u. zwanzigsten dess.[elben] Mts. [Monats] in Quednau begraben.
    Es hinterbleiben: die Wittwe und 6 minor.[ene] Kinder.


    Was habe ich nun aber unter "auf dem Felde" zu verstehen?
    Die Bezeichnung kann bekanntlich einerseits für das Schlachtfeld eines Krieges stehen, andererseits einfach für das landwirtschaftliche Flächenstück!
    Eigentlich war zu der Zeit kein wirklicher Krieg und es wurden die Worte "todt gefunden", nicht "gefallen" verwendet, allerdings gab es natürlich immer noch die Wehrpflicht. Dafür, dass es das landwirtschaftliche Flächenstück war, auf dem er verstarb, spricht sein Beruf: Instmann, ein landwirtschaftlicher Arbeiter in Ostpreußen, der einen festen Arbeitsvertrag mit einem Bauern hatte und auf einem größeren Bauernhof oder auf einem Gut arbeitete. Dabei gehe ich aber davon aus, dass der Instmann nahe seines Wohnortes arbeitete, denn die Insthäuser waren schließlich nahe des Arbeitsplatzes gebaut. Aber Polennen, sein Todesort, ist laut Google-Maps fast 40 km von Balliet(h), seinem Wohnort, und von Quednau, der Pfarrei, entfernt.
    Ist er vielleicht während der Arbeitszeit einfach umgekippt und verstorben, ohne dass das jemand bemerkt hat? Waren solche Feldarbeiter etwa allein auf dem Feld? Es bleibt noch die angegebene Todesursache: Erstarrung. Was ist das? Totenstarre? Soll das demnach nur aussagen, dass (besonders in Verbindung damit, dass er tot gefunden wurde) schon die Totenstarre eingetreten war? Das wäre doch möglich, dass er mittags verstarb, nicht mehr gesehen wurde, abends nicht nach Hause kam, gesucht wurde und recht schnell gefunden wurde - denn der Zeitraum bis zur Bestattung ist nicht unglaublich lang.
    Habt ihr noch Ideen? Wieso war er so weit von seinem Wohnort weg? Kann man Fremdverschulden wohl komplett ausschließen oder wäre das auch noch eine Möglichkeit? Zumal, da er relativ jung war.


    Ich würde mich sehr über eure Einschätzungen, Antworten und Kommentare freuen!


    Freundliche Grüße
    Julien L. Thiesmann

  • Hallo Julien,


    ich denke, dein Gottlieb ist schlicht und einfach auf einem Acker erfroren. Warum? Das bleibt bei dem Eintrag natürlich Spekulation.
    Mitte November kann es schon sehr kalt gewesen sein. Vielleicht muss man da mal im Netz nach Wetterinfos suchen.


    Ich habe einen (vielleicht?) vergleichbaren Fall (1778, Bleckendorf). Der KB-Eintrag lautet:


    1. Den 1. Jan. ist der Leineweber und Kothsaße Jo-
    achim Christoph Wagenführ, nachdem sich derselbe
    des Abends vorher auf dem Wege von Egeln verirrt
    und des Nachts vergeblich gesuchet, des Morgens aber aufs
    neue gesuchet, auf der Wiese unweit des egelschen
    …*… für tot gefunden und den 2. eiusdem des
    Abends begraben. Er war des Nachmittags gegen 3. Uhr nach Egeln ge-
    gangen und der Schöppe Müller gehet mit ihm des
    Abends wieder hinaus, da sie da vom Damm abgekommen
    und sich verirrt: weil nun der Wagenführ we-
    gen Müdigkeit nicht mehr fortkommen können, hat ihn
    der Schöppe Müller verlaßen, um ihn sogleich holen
    zu laßen. Da aber einige ihn in der Gegend gesucht u.
    geruffen, hat er gar nicht, vermutl. wegen harten Schlafs
    geantwortet, und musste also in der Nacht umkommen.
    Alter: 65 Jahr, 10 tage


    * bisher nicht entschlüsselte Ortsangabe


    Klar, es war da wirklich Winter, und Joachim Christoph dürfte "einen im Tee" gehabt haben.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Julien,


    auch ich kenne einen ähnlichen Fall. Von einem winterlichen Fußmarsch in einen entfernten Nachbarort kehrte der Proband nicht heim. Man fand ihn schließlich tot neben der Straße liegend. Gewalteinwirkung war nicht festzustellen, deshalb nahm man an, er habe sich entkräftet ausruhen wollen, sei eingeschlafen und erfroren.


    Gruß
    Detlef

  • einem winterlichen Fußmarsch


    Hallo,


    in manchen KB findet man auch hin und wieder Einträge über unbekannte, erfrorene Vagabunden, Bettler und Soldaten.


    Assi


    Und was ich nicht ändern kann, da bleibe ich weiter dran... (Herbert Grönemeyer)

  • Hallo zusammen,


    auch einer meiner Vorfahren hat im Jahre 1769 einen toten Bettelmann aufgefunden und dies angezeigt. Hilft allerdings Julien nicht weiter. Der 19. November 1868 war ein Donnerstag, kein Feiertag weit und breit und kein Wochenende. Ich denke auch eher wie Jörg und verbinde es wie auch immer mit dem Wetter.


    Gruß Wolfgang

    Gruß Wolfgang


    BULICKE Berlin/Brandenburg

    KRAUEL MV/Berlin und USA

    KÜTTNER Sachsen

    SCHMIDL Böhmen/Sachsen

    und als Hobby SCHEUERLEIN Franken und USA

  • Hallo ihr alle,


    vielen, lieben Dank für eure Antworten und Berichte! Ich habe gerade schon ein wenig gegooglet, aber das ostpreußische Wetter von 1868 zu finden ist nicht einfach, deutsches Wettwer ist online scheinbar sowieso erst ab etwa 1986 zu finden, also mehr als 100 Jahre zu spät... Vielleicht kann ich irgendwann mal eine Zeitung dieses Tages bekommen, in der hoffentlich eine Wetterprognose angegeben war.
    Dass er erfroren ist, tut mir leid. ;(
    Aber das wird es wohl sein, vielen Dank an alle Beteiligten!
    Wenn aber jemand noch von weiteren Erfahrungen berichten kann und möchte, lese ich diese gerne weiter. Manches ist schon ergreifend, wie man damals lebte und durch welche Umstände sich der damalige Alltag vom heutigen Alltag unterschied!


    Allen viel Erfolg bei der weiteren Forschung und nochmal vielen Dank an alle! :thumbsup:


    Julien L. Thiesmann

  • Hallo Julien,


    was Deinen Wunsch bzgl. Wetterprognose anlangt, habe ich folgenden Link gefunden:
    http://lexikon.freenet.de/Naturereignisse_in_Ostpreu%C3%9Fen


    Danach war der Sommer 1868 wohl sehr heiß, könnte also bedeuten, dass die Ernteergebnisse nicht gerade rosig waren.
    An anderer Stelle habe ich gelesen, dass der Sommer 1867 katastrophal nass war, die Getreideernte entsprechend sehr schlecht,
    es sollen viele in den darauf folgenden Monaten gehungert haben, es gab auch Tote.
    D. h. Dein Ahn hatte vllt. im November 1868 nicht die beste körperliche Verfassung, und wenn dann vllt. ein Kälteeinbruch kam.


    VG Britta

  • Es ist ja schon alles klar, und da brauche ich gar nicht mehr zu erzählen, dass auch einer meiner Vorfahren erfroren im Straßengraben gefunden wurde. Natürlich war der besoffen aus der Kneipe im Nachbardorf gekommen. :wacko:


    Aber eins noch als grundsätzlichen Hinweis:
    Wer im Kriege fällt, stirbt nicht "auf dem Feld", sondern "im Feld" :!:

    Viele Grüße
    h :) nry


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    Was kann man von Menschen erwarten, die den Beginn eines neuen Jahrtausends ein Jahr zu früh gefeiert haben?

    Einmal editiert, zuletzt von henrywilhelm ()

  • wo wir grade so schön dabei sind: auch einer meiner Vorfahren starb auf einem Feld und wurde anschließend gefunden. Allerdings wurde er erschlagen, was wetterunabhängig gewesen sein dürfte.
    viele Grüße
    Gisela

    Ein Jegliches Ding hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde
    Derzeitige Lieblingsbaustellen: GRUNER u. LINCKE, Sachsen, ab 1849 auch Schweiz. WURMSER von Schaffoltzheim, Bormio, Schweiz, Elsaß, Heidelberg. STREICHER, Ulm, 16. Jhdt. (Schwenckfelder). WERNBORNER, Hessen u.a.

  • Natürlich war der besoffen aus der Kneipe im Nachbardorf gekommen.

    Hallo Henry,
    als Schriftkundiger bist Du schon ein anerkannte Kapazität, als Forensiker jedoch noch lange nicht. :D
    Wer Kirchenbücher jener Zeit liest, stellt fest, dass es bei zunächst vermißten und schließlich tot aufgefundenen Personen zwei Haupt-Todesursachen gab, die beide mit dem Entbehrungsreichtum zu tun hatten: Auszehrung und Raubmord. Koma-Saufen konnte man sich nicht leisten.


    Prost
    Detlef

  • Danke für den Hinweis, Detlef.
    Auszehrung schließe ich zwar aus, aber immerhin ... er könnte natürlich irgendwie sehr überanstrengt gewesen sein.
    Ich habe es mir so zusammen gereimt:
    - Er war auf dem Weg vom Nachbardorf nach Hause und lag im Straßengraben. Da muss er doch den Weg gekannt haben.
    - Alkohol macht schnell warm, aber erweitert die Blutgefäße derart, dass die Gefahr zu erfrieren extrem groß ist. Es gibt viele Beispiele von auf diese Art erfrorenen Soldaten. Man wacht einfach nicht mehr auf. Wenn also einer im kalten Winter besoffen in den Stra0engraben fällt ...


    Nun ja. Für alle soll gelten: Friede ihren morschen Knochen! :rolleyes:


    Prostata!

    Viele Grüße
    h :) nry


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