"Auf den Spuren eines Unbekannten"

  • Letzes Jahr ging ich zu einer Versanstaltung in der Urania, Berlin.
    Urania, Berlin: "Die eigene Geschichte schreiben" 8. Nov.
    Dort wurde ein Buch als Werkzeug für die Familiengeschichtenforschung empfohlen.


    Was war das Buch ?


    Alain Corbin: Auf den Spuren eines Unbekannten.
    Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben.


    Campus Verlag, 1999 / ISBN: 3-593-36175-2


    Der Autor hat sich einen Mann ausgesucht - Louise-Francois Pinagot (1798-1876), der nicht berühmt ist,
    und aus einen historisch "unbekannten" Gegend kommt, und dann versucht, seinen Leben zu rekonstruieren.


    Die einzeln Kapitel (mit grob vereinfachter Beschreibung)


    - 1 ) Der Raum eines Lebens >> Umgebung, geopolitische Zuordnung
    - 2 ) "Die untere Unendlichkeit"
    - 3 ) Wahlverwandschaft und Familienverwandtschaft >> Familie und Nachbarschaft
    - 4 ) Die Sprache des Analphabeten >> Schule und Ausbildung
    - 5 ) Der Holzschuhmacher, die Spinnerin und die Handschuhmacherin >> Beruf
    - 6 ) Die Vergnügen des Arrangements >>- gerichtliche Auseinandersetzungen, soziale Anlässe
    - 7 ) Die auseinandergenommene Vergangenheit >> Geschichte des Orts und der Umgebung
    - 8 ) Die Invasion >> Auswirkungen von Kriegsereignissen [/color]
    - 9 ) "Die Unverschämtheit des Armen" >> Armut und Hungerleiden in der Region
    - 10) Das Pfarreimitglied, der Nationalgardist und der Wähler >> religiöse und politische Haltungen


    Nach dem Lesen weisst man immer noch sehr wenig über Pinagot; er schwebt zwar als spekulative Geist durch das ganze Buch -
    "In seiner Umgebung ... ", "Er wäre .... ", "Er hätte ..", usw. - aber konkret wissen wir weiterhin nichts mehr.


    Warum ist das Buch als Werkzeug beschrieben ?


    Weil das Buch nicht blos reine Spekulation ist, sondern basiert auf "harte Fakten" - dokumentierte und zitierten Quellen von Anwohner und Ereignisse aus diesem Gegend. Fast jede Zeile ist mit Quellen belegt, und, nach 290 Seiten Beschreibungen, brauchen diese Quellen selber 40 Seiten um aufgelistet zu werden.


    Dabie benutzt der Autor folgende Abkürzungen (sonst wäre der Quellennachweis wohl -zigmal so groß !)
    - AN : Archives Nationales >>Bundesarchiven ?
    - ADO: Archives départemantales de L'Orne >>Regionale und Landes Archiven ?
    - AM : Archives Municipales >>Stadtarchiven ?
    - AP : Archives paroissiales >>Kirchen Archiven ?


    Damit hat man ein Werkzeug: "wo könnte ich suchen, um ..... herauszufinden?",
    sozusagen: "eine Quelle für Quellen".

  • Was bringt es für uns ?


    1) Wir sammeln Fakten über unsere Ahnen und/oder wir wollen wissen, wie haben unsere Ahnen gelebt.


    Wo finden wir diese Information ? Dieses Buch ist eine wahre Fundgruben von Quellen, wo man forschen kann, was man bei verschieden Quellen finden könnte.


    2) Was tun wir mit der Information ?


    Viele von uns wollen nicht blos alle Daten aus den Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden tabellarisch oder in einen Stammbaum auflisten, sondern eine Familienchronik oder -geschichte schreiben.
    Dazu braucht man nicht nur die "trockene" Urkundendaten, sondern alles "drumherum", das "Fleisch auf den Knochen".


    Wie der Zufall es so will, habe ich gerade einen Artikel über die Darstellung von Familienforsching als Geschichte gelesen:
    http://margaretannestorey.webs…-writing-a-family-history


    Die Autorin listet 5 Möglichkeiten auf
    - Standard Daten: "Wilhelm Schmidt wurde in 1876 in Klein Entenhausen getauf. ..."
    - etwas ausgearbeitet: "Die alte Dorfkirche steht oben am Hügel in idyllische Umgeben. Hier wurde Wilhelm Schmidt an einem schönen Frühlings Tag getauft. ... "

    Zitat

    you will need to do a lot of research into your ancestor’s occupation, the village he lives in, his neighbours, the climate etc. It is probably the most acceptable as far as what most people expect a family history to be.
    Du wirst vieles über den Beruf, das Dorf, wo er wohnte, seine Nachbarn, das Klima, usw. forschen müssen. Es ist wahrscheinlich das meist annehmbare, wenn man bedenkt, was die meisten Leute von einer Familiengeschichte erwarten.

    - Sehr ausgearbeitet: wie "etwas ausgearbeite plus etwas Imagination !
    - Aus Sicht des Autors (nur wenn du selber dort gewesen bist !) Benutzt "Ich .... "
    - Fiction + Fact = Faction: Fakten + Imagination um das ganze in Roman-Form zu bringen.
    (wer englisch kann, soll diese Link selber angücken :) )
    (siehe auch im Forum: Wie schreibt man eine Familiengeschichte, Familienchronik ?)



    Wenn man mehr als nur "Standard Daten" bringen will, ist Corbins Buch eine tolle "Quelle für Quellen" !
    Ich muß (ehrlichkeitshalber) zugeben, dass ich das Buch nicht "durchgelesen" habe, sonder nur ausgiebig durchgeblättert.
    Der Autor ist professioneller Historiker, und bringt eine Tiefe an Details, die mir/uns zuviel wäre.
    Aber was er aus den Quellen holt, und wie er damit umgeht - das ist es was das Buch für mich ausmacht.
    Seine Quellen müssen wir natürlich auf den Quellen unserer jeweiligen Land, Region, Stadt, Kommune, usw. "umdenken".


    Ich habe (wie üblich) das Buch aus der Stadtbucherei ausgeliehen.
    (Für Berliner: Steglitz, Kennzeichen G 110 Cor, für anderen: evtl. über Fernleihe)


    Weitere Rezensionen:
    http://www.perlentaucher.de/bu…en-eines-unbekannten.html


    Gruß,
    Bob


    ps.: Und wo wir mit "drumherum" gerade dabei sind, hier im Forum:
    Stürme, Hochwasser, Hungersnöte, Frost, heiße Sommer, Überschwemmungen, Sonnenfinsternis