Aussterbenden Berufe und Handwerken

  • Ich habe gerade ein interessanten Link im englischen Forum gefunden.
    Bei der BBC wurde einen Artikel über aussterbende traditionelle Berufe und Handwerkliches Können (Trades and Craftsmen) veröffentlicht.
    http://www.bbc.com/news/uk-england-28209518
    Hier wurde unter anderen vom "Letzten" der Fassmacher (Böttcher ?), Holzschumacher und Holzkorbmacher berichtet.

    Ich vermute, in Deutschland geht es mit aussterbendes fachliches Können ähnlich. Als Beispiel fällt mir eine Geschichte ein, als ich neu in Deutschland war.
    Vor 40 Jahren hatte ich mit den Hamburger Wasserwerken zu tun. Auf dem Gelände in Rothenburgsort gibt es einen alten backstein Wasserturm.
    http://de.wikipedia.org/wiki/W…rm_Hamburg-Rothenburgsort und
    Detailbild: http://www.natur-beobachtungen…htungen/wanderfalken.html


    Damals erzählte uns die Leute dort, dass sie den Turm gerne abreissen würden, aber, da er denkmalgeschutzt ist, müssen sie ihn immer pflegen und Instandhalten. Und dafür gab es (schon damals) keine Fachwerker in Deutschland, die das konnten. Sie mussten deshalb Arbeiter aus Polen holen (alles vor der Wende, und deshalb auch nicht ganz so ohne !) nur damit diesen Turm nicht zusammenbräche.


    Reetdacher fällt mir auch dazu ein; allerdings hier scheint noch genug Bedarf, dass der Beruf bzw. das handwerkliches Können dafur nicht so schnell aussterben wird.


    Fällt euch auch Beispiele ein ?


    Gruß,
    Bob

  • Hallo,


    an die Sendung des BR musste ich auch gleich denken. Einige davon (alle?) sind beim BR in der Mediathek online anzusehen.


    Frohes schwitzen allerseits noch... 8-)


    Viele Grüße
    Torsten

    Derzeit auf der Suche nach FN LUBENOW aus SOLTNITZ Krs. Neustettin / Pommern.

  • Ich kenne sicherlich nicht alle Hintergründe um diesen Wasserturm, aber ich habe doch meine Zweifel das es nicht doch noch auch heute Fachleute dafür gibt. Wenn ich von polnischen Arbeitern u.a. auch zu der Zeit höre, dann drängt sich mir eher der Verdacht auf das es wie fast immer auch ums Geld geht. Da spielt vielleicht auch noch der Unfallschutz mit hinein. Und das ist heute nicht anders wie damals...
    Spekulant

  • Ein spannendes Thema!


    Es gibt sicher Handwerksberufe, die schon mehr oder weniger lange "ausgestorben" sind. An deren Produkten oder Dienstleistungen besteht halt kein Bedarf mehr.
    Aber es gibt eine ganze Reihe Handwerke, die inzwischen extrem selten geworden sind. Deren Produkte werden heute noch benötigt - aber weitestgehend industriell gefertigt.


    Einige Handwerke haben sich auch eher in Richtung Kunsthandwerk entwickelt. So ist der Lehrberuf des Klempners (Flaschner, Blechner, Spengler u. viele andere regionale Bezeichnungen) heute im Installateur, oder richtiger 'Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik' aufgegangen. Dort werden zwar noch Methoden und Verfahren der klassischen Blechverarbeitung gelehrt - aber in der täglichen Praxis kaum noch genutzt. So werden z.B. die Elemente für eine Dachentwässerung industriell vorgefertigt und vom "Klempner" ;) an die jeweilige Gebäudesituation angepasst (wobei ich dies nicht abwertend meine!!!) . Ein typisches Beispiel einer Blechverkleidung sieht man hier , das ist noch klassisches Handwerk. Wer kann heute noch die notwendigen Abwicklungen konstruieren? Leute, die das mal in der Praxis (nicht nur in der Berufsschule) lernten. Und solche Spezialisten sind inzwischen selten geworden [Hierzu weiß ich einiges, da mein Freund einer dieser Leute war, gleichzeitig auch Technischer Lehrer an einer Berufsschule, wo er u.a. auch diese Blechverarbeitung lehrte]. Wer kann heute noch einen klassischen Wetterhahn aus Kupferblech bauen? Das ist dann schon der erwähnte Schritt in Richtung Kunsthandwerk.


    Einer meiner Ahnen Posamentierer. Posamenten werden heute - soweit noch Bedarf besteht - auf mehr oder weniger modernen Maschinen. Die Handarbeit ist auf ein Minimum geschrumpft, vermutlich wird das spezifische Fachwissen nur noch in wenigen Fällen von einem Meister auf einen Lehrling weitergegeben. Ein anderer war Seiler (Reepschläger). Ich weiß, dass jede Menge Seile produziert werden - aber wohl kaum noch handwerklich auf langen Seilerbahnen (Reeperbahn), wo der Seiler mit dem Leitholz und den dort geführten Litzen ständig hin- und herlaufen musste.


    Andere, weitestgehend ausgestorbene Berufe sind sicher auch der Köhler, der Dampflokführer, und der Türmer.
    Ich weiß, dass es noch Dampflokführer gibt: bei den diversen Museumsbahnen, die es zum Glück noch gibt.
    Ein paar Türmer gibt es auch noch (so z.B. in Nördlingen) - aber die haben nicht mehr die Wach- und Warnungsfunktionen, die ein Türmer früher hatte.


    Wie weit die klassische Buchbinderei als Handwerk noch praktiziert wird, weiß ich nicht sicher. Wenn ja, dann sicher nur noch für bibliophile Kleinstauflagen und ganz spezielle Einzelstücke. Die Restaurierung wertvoller alter Bücher erfolgt sicher auch in handwerklicher Arbeit.


    Es ist übrigens Tatsache, dass manche Handwerksberufe in anderen Ländern noch eher zu finden sind, als in Deutschland. Gerade im Bereich Restauration / Erhalt historischer Gegenstände, Vorrichtungen, Bauwerke ist das der Fall. Natürlich gibt es auch entsprechende Fachleute in unserem Land, aber es deckt wohl nicht den Bedarf. Bekanntes Beispiel sind die Bauhütten an vielen großen Kirchen (Mainz, Köln, Freiburg usw.). Hier arbeiten Handwerker aus vielen europäischen Ländern zusammen und bilden auch Leute aus den verschiedensten Ländern aus.


    Die erwähnte TV-Reihe "Der Letzte seines Standes" ist wirklich empfehlenswert!

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Moin zusammen !


    Aus eigener Erfahrung: Der klassische Dorfschmied (der noch handwerklich das im Schmiedefeuer glühend gemachte Eisen für den dörflichen Bedarf bearbeitete) gehört ebenso der Vergangenheit an, wie der Seefunker (zwar kein Handwerksberuf, aber "Handarbeit" mit der Morsetaste). Und auch der ursprüngliche Rundfunkmechaniker ist längst von gestern.


    Gruß, Georg