Kirchspiel Medelby: deutsche Kirchenbücher wurden in dänisch geführt. Hintergrund?

  • Moin allerseits,


    bei meiner Forschung im Kirchspiel Medelby bin ich auf eine interessante Sache gestoßen.


    Das Kirchspiel Medelby liegt direkt an der heutigen dänischen Grenze etwa 25 Km westlich von Flensburg. Das nördliche benachbarte Kirchspiel ist das dänische Tinglev Sogn. Die Vorfahren meiner Ehefrau stammen aus dem Medelbyer Raum. seit je her ist ja dieses Grenzgebiet auch ein ständiges Mischgebiet verschiedener Sprachen.


    Ich stellte nun bei meinen Suchen im Kirchenbucharchiv Archion fest, daß alle Kirchenbücher ab Jan. 1855 plötzlich in dänisch geführt wurden. Vom gleichen Pastor! Erst Mitte 1864 wurden dann die Bücher wieder in deutsch geführt. Was ist der Hintergrund dieser Umstellungen? Gab es irgendwelche Dekrete der Regierung oder der Kirchenobrigkeit, die dies veranlaßten? Zuvor gab es ja 1848 die Schleswigsche erhebung/1. Schleswigscher Krieg, der mit einer Niederlage der Schleswiger endete. Gab es in der Folge eine Dänifizierungswelle?


    Wer kennt sich in dieser verworrenen deutsch-dänisch-schleswigschen Geschichte aus?:/

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo und guten Tag,

    dänische Grenze, gehört nicht zu meinem Sammelgebiet,


    ich kann mir aber wohl vorstellen, daß diese Grenze öfters verschoben worden wurde


    findest du etwas bei FINHOLBEK.dk ?


    hans

  • Hallo Hans,


    mit einer Grenzverschiebung hat das nichts zu tun. Das Herzogtum Schleswig (welches früher bis etwa Hadersleben ging) war ja über ein Jahrtausend Bestandteil des dänischen Reiches.

    Mit Aufkommen der nationalliberalen Bewegungen im 19. Jahrhundert wurde auch im Landesteil Schleswig die Zugehörigkeit zum dänischen Staat durch deutschgesinnte Schleswiger in Frage gestellt. 1848 kam es deswegen zur Schleswig-Holsteinischen Erhebung, auch 1. Schleswigscher Krieg genannt. Sie endete mit der Niederlage der schleswig-holsteinischen Truppen im Jahre 1851. Im Londoner Protokoll wurde bekräftigt, daß die Landesteile Schleswig und Holstein eigenständige Herzogtümer blieben, die nicht zum dänischen Staat gehörten. Gleichwohl blieb der dänische König in Personalunion Herzog dieser Gebiete.

    1864 kam es u.a. wegen einer repressiven Sprachenpolitik Dänemarks erneut zum Krieg (2. Schleswigscher Krieg). Preußische und österreichische Truppen brachten Dänemark an den Rand einer vernichtenden Niederlage. Unter diesem militärischen Druck erklärte Dänemark bereit, die Herzogtümer Schleswig an Preußen und Holstein an Österreich abzutreten. Noch im gleichen Jahr verwarfen sich jedoch Preußen und Österreich. Die letztendlichen siegreichen Preußen gliederten beide Herzogtümer nun als Provinz Schleswig-Holstein in ihr Königreich ein. Völkerrechtlich gehörte damit der Landesteil Schleswig erstmals nach über 1.000jähriger Zugehörigkeit zu Dänemark zu Deutschland.

    Die Kirchenbücher in Medelby sind genau im Zeitraum 1855 - Mitte 1864 dänisch geführt. 1855 wäre in etwa der Beginn der oben beschriebenen repressiven Sprachenpolitik Dänemarks. Aber es muß doch irgendwelche Anweisungen der Kirchenleitung o.ä. gegeben haben, solche Veränderungen durchzuführen. Danach suche ich eigentlich.

    1864 kam dann das Ende dieser Danifizierungswelle infolge des verlorenen (aus dänischer Sicht) 2. Schleswigschen Krieges.

    Ich fürchte fast, ich muß im Landesarchiv recherchieren. Doch noch hoffe ich, daß ein Historiker unter uns ist, der einen heißen Tip hat.;)

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo

    DANKE für deine geschichtliche Aufarbeitung.

    aber

    wenn du nach einer bestimmen Anordnung aus dem Kirchenamt suchst, dann führt hier kein Weg am Kirchenbuchamt der Nordkiche vorbei,

    die müßten/könnten sowas wissen

    hans

  • Kirchenbuchamt??

    Genau, das ist das Stichwort! Danke Hans! Wie ist es, wenn man mitten im Wald steht? Man sieht die einzelnen Bäume nicht mehr! Und ein Besuch oder eine Anfrage beim Kirchenbuchamt ist ja wohl das Naheliegendste.

    mit herzlichen Grüßen aus dem Landesteil Südschleswig

    med venlig hilsen fra Sydslesvig


    Egon Ossowski


    Forschungsgebiete: Westpreußen (Czersk, Bruß) [FN Ossowski], Köln, Leipzig [FN Schlegel] und Kreis Schleswig-Flensburg [FN Nissen]

    Homepage: https://egonossowski.wixsite.com/meinewebsite

  • Hallo EOKI@

    vielleicht gibt es aus dieser Ecke auch noch ein heimatmuseum oder Heimatverein,

    sonst

    schau doch mal bei google books vorbei, tante google books kennt den Ort

    wär eine Frage wert

    hans

  • Hallo Egon,

    dasselbe ist in der Kirche Steinberg, Flensburger Förde, zu finden

    oo ab 5.2.1853 in Dänisch, ab 3.4.1864 wieder Deutsch,

    So ist es auch bei Geburten und Sterbefällen. Immer mit wenigen Tagen Unterschied.

    Zwischen den Übergängen der Sprache, ein dicker Strich.


    Grüße Micha

  • Hallo Egon,


    So ganz einfach ist das nicht mit Dänemark, Deutschland und Schleswig-Holstein. Die Frage des Status der beiden Herzogtümer belastete die Region praktisch das gesamte 19. Jhdt. hindurch, wobei es immer klarer wurde, dass eine endgültige Lösung nicht ohne Gewalt würde zu erreichen sein.


    Das Problem war folgendes: Der Herzog von Schleswig war in Personalunion König von Dänemark. Das Herzogtum Schleswig war seit dem Mittelalter dänisches Lehen, aber kein unmittelbarer Teil des Königreichs Dänemark und schon gar kein Teil des Heiligen Römischen Reiches. Nach dem Ende des Reiches 1806 wurde Schleswig 1814/15 daher auch kein Bundesstaat im Deutschen Bund.

    Holstein dagegen, erst Grafschaft, dann Herzogtum, war stets unbestrittener Teil des Reiches und dann auch deutscher Bundesstaat seit 1814/15. Im 19. Jhdt. nun wurden Schleswig und Holstein bereits seit Jahrhunderten gemeinschaftlich regiert, was auf das Ripener Privileg von 1460 zurückging, das bezüglich der friedlichen Verwaltung der (ursprünglich drei: Schleswig, Holstein und Stormarn) Gebiete den bekannten Passus enthielt: „dat se bliven ewich tosamende ungedelt“. Dieser wahrscheinlich zum Teil auch missverstandene oder besser: umgedeutete Passus gab den Schleswig-Holsteinern im 19. Jhdt. die Rechtfertigung, auf ihrem Zusammenbleiben zu beharren, während die dänischen Liberalen Schleswig aus dem Verband mit Holstein lösen und es fest in den dänischen Staat eingliedern wollten.

    Virulent wurde das Problem erst, als König Christian VIII. im Januar 1848 starb und damit der Erbfall für Dänemark, Schleswig, Holstein und Lauenburg eintrat. Nun meldete nämlich der Augustenburger Prinz Christian August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg Erbansprüche auf Holstein und Lauenburg und damit auch auf Schleswig an. Warum? Weil in Dänemark die weibliche Linie des Königshauses erbberechtigt war, nicht aber in den deutschen Bundesstaaten. Derselbe Grund hatte ja bereits zur Aufhebung der Personalunion von des Vereinigten Königreiches mit dem Königreich Hannover geführt.

    Die Lage war also durch den Erbfall erst so richtig verfahren. Die Schleswig-Holsteiner und der Deutsche Bund konnten dieThronfolge der weiblichen dänischen Linie in Schleswig nicht hinnehmen, weil dadurch Schleswig-Holstein geteilt worden wäre. Die dänischen Liberalen dagegen konnten den Augustenburger nicht akzeptieren, weil das zum Zerfall des dänischen Gesamtstaates geführt hätte. Nun hieb man sich also 1848 und 1849 eifrig auf die Glocke, bis die europäischen Großmächte die streitenden Parteien dazu uwangen, den Status quo ante beizubehalten.

    1864 trat aber dummerweise genau der gleiche Fall wieder ein: Der nächste dänische König, Friedrich VII., starb im November 1863, und der Konflikt brach erneut aus. Diesmal setzten sich aber die Exekutionstruppen des Deutschen Bundes schnell durch. Inzwischen war ein neuer Akteur ins Spiel eingetreten: Preußen, was die Kampfhandlungen sehr beschleunigte. Im Ergebnis wurde Schleswig-Holstein von Preußen und Österreich gemeinsam verwaltet, wobei Preußen für Schleswig und Lauenburg zuständig sein sollte und Österreich für Holstein.

    Schließlich kam alles, wie es mit Preußen kommen musste: Die wiederum Erbansprüche erhebenden Nebenlinien des dänischen Königshauses wurden ausgebootet, Österreich wurde 1866 besiegt und musste Holstein räumen. Schleswig-Holstein wurde schließlich von Preu0en annektiert (was die Schleswig-Holsteiner gar nicht gut fanden). Lauenburg ging schon vorher relativ geräuschlos direkt in preußische Hände über.

    Nicht betroffen von dem ganzen Schlamassel waren übrigens die Freie Hansestadt Lübeck, der Landesteil Eutin des Großherzogtums Oldenburg sowie die Teile Hamburgs, die damals schon hamburgisch waren. Altona dagegen, einstmal eine der größten Städte des dänischen Gesamtstaates, fiel vorübergehend in preußische Hände. Im Friedensvertrag mit Dänemark wurde diesem übrigens in Aussicht gestellt, dass es im Herzogtum Schleswig eine Volksabstimmung geben sollte, in der das schleswigsche Volk sich selbst für eine Zugehörigkeit (ganz oder teilweise) zu Dänemark oder Preußen bzw. Deutschland entscheiden sollte. Dieser Artikel wurde allerdings von preußischer Seite niemals in die Tat umgesetzt. Die Reichsgrenze verlief demnach, grob gesagt, zwischen Ripen und Kolding, bis 1920 die Abstimmung im Gefolge des Versailler Vertrages die heutige Grenze nördlich von Sylt, südlich von Tondern und nördlich von Flensburg festlegte. – Soweit in groben Zügen die Geschichte, zum besseren Verständnis, weil das auch unmittelbare Folgen für uns Familienforscher im Norden hat: Sprachen wechseln, die Organisation des Personenstandswesens wechselt, Familien gehören sehr zahlreich auf beiden Seiten der Grenze eng zusammen usw. Ich hoffe, es ist soweit klar und es sind nicht zuviele Fehler drin.

    Pfalz (FN Werle, Kraft, Blauth, Briegel, Antes, Heil), Finistère (FN Salaün, Bécam), Hzm. Schleswig (FN Studt, Bendixen [Brarupholz]), Schleswig-Holstein (FN Dierck)