Bürgerliche Abkömmlinge der Freiherren v. We(h)rstein ?

  • Hallo und guten Tag,


    das alte schwäbsche Adelsgeschlecht v. We(h)rstein ist im 14.Jahrhundert abgestorben.


    Nun habe ich in den Urkundenregesten im Archiv der Freiherren von Ow im Jahr 1478 einen Martin Werstein und im Jahr 1480 einen Martin und einen Ludwig Werstein entdeckt. Interessanterweise im Ort Empfingen, das zur Herrschaft der Edelfreien v. We(h)rstein gehört.


    Könnte es sich hierbei um illegitime Kinder oder deren Nachkommen der Freiherren handeln?


    Gibt es darüber irgendwelche Informationen?


    :danke: für jeden Hinweis.

    Viele Grüße


    Herbert Ernst


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  • Hallo Herbert,


    es ist eigentlich nicht ungewöhnlich, sondern eher die Regel, dass gerade in näheren Umgebung entsprechende Familiennamen, also Herkunftsnamen zu finden sind, da die Leute zur damaligen Zeit ja nicht so mobil wie heute waren. Sie bekamen dann an ihrem neuen Wohnort als Beinamen und später Familiennamen den Ort ihrer Herkunft angehängt.


    Über illegitime Nachfahren der v. Wehrstein ist nichts bekannt. Es wäre auch ein recht seltener Fall, wenn diese illegitimen Nachkommen den Namen führen würden, wobei es das natürlich auch gab. Wer die Eltern der beiden Genannten sind, wird sich sicher schwer ergründen lassen, wenn das Archiv darüber nicht noch mehr preisgibt. Kirchenbücher gab es zu dieser Zeit ja noch nicht.


    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

  • Hallo Hina,


    danke für die Antwort.


    Das mit dem Herkunftsname erscheint mir nicht ganz logisch, denn die Herrschaft Wehrstein bestand ja nur aus den drei Orten Betra, Empfingen, Fischingen und der Burg Wehrstein. Wieso sollte also Jemand, der in einem Dorf der Herrschaft Wehrstein lebt den Namen der Herrschaft oder der Burg als Herkunftsnamen erhalten. Es sei denn, er wäre von dort weggezogen und eine spätere Generation wäre wieder dorthin zurückgekehrt.


    Dass illegitime oder nicht standesgemäße Nachkommen von Adeligen den bürgerlichen Namen (also ohne von) weiterführen, scheint mir nicht unüblich gewesen zu sein. Ich bin in den letzten Tagen bei Archivrecherchen und in der Literatur mehrfach darüber gestolpert. Wenn ich mich richtig erinnere unter anderem bei den v. Wehingen (Wehinger, Wähinger).


    Du schreibst, dass von illegitimen Nachkommen der v. We(h)rstein nichts bekannt sei. Gibt es denn eine Genealogie oder Stammtafeln oder ähnliches der v. We(h)rstein. Wenn ja, wäre ich für einen solchen Hinweis sehr dankbar.


    Herzliche Grüße
    Herbert

    Viele Grüße


    Herbert Ernst


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  • Hallo Herbert,


    so unlogisch ist es eigentlich nicht, wenn jemand, der z.B. Bediensteter einer Burg war und dort mit seiner Familie lebte oder zumindest ganz in der Nähe dann in eines der umliegenden Dörfer zog, den Namen seines letzten Wohnsitzes als Beinamen, später Familiennamen erhielt. Die Burg selbst gehörte ja nicht direkt zu Empfingen.


    Was die illegitimen Kinder Adeliger betrifft, auch Bastard genannt, so sind viele dieser Kinder in den Europäischen Stammtafeln aufgeführt. Wenn sie anerkannt waren, erhielt ein Teil dieser Kinder den Namen des Vaters, manche sogar mit, andere ohne Adelsprädikat, andere wiederum führten den Namen der Mutter oder bekamen gar einen ganz anderen Namen. Das Problem ist allerdings, dass die Mehrheit illegitimer Abkömmlinge nicht anerkannt wurden. Und so gibt es alle möglichen Möglichkeiten.


    Eine Stammtafel der v. Wehrstein gibt es leider nicht, dazu gibt es zu wenige Urkunden, die die Familienmitglieder ausreichend in Bezug zueinander bringen. Zu den Urkunden gibt es eine Veröffentlichung. Schnell, Urkunden zur Geschichte der Herrschaft Wehrstein in: Historisch statistische Zeitschrift 1845. Vielleicht kannst Du die irgendwo einsehen.


    Viele Grüße
    Hina

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  • Hallo Hina,


    vielen dank für den Literaturhinweis. Mal sehen, wo ich das Auftreiben kann.


    Was mich nach wie vor nicht zufriedenstellt, ist der Hinweis in der Literatur, dass das Geschlecht der Wehrsteiner vermurtlich mit dem Tod des Benz v. We(h)rstein im Jahr 1409 ausstirbt.
    Jedoch bereits 1331 wird Graf Rudolf von Hohenberg als Besitzer von Burg Wehrstein urkundlich erwähnt.


    Daraus und aus anderer Quellen (bereits zum Ende des 13. Jahrhunderts wird mehrfach Grundeigentum verkauft) ist zu schließen, dass die v. We(h)rstein verarmten. Haben sie also den Adel abgelegt und als Bürgerliche weitergelebt?; denn sie wären ja Herren ohne Herrschaft und damit ohne Einkommen gewesen?


    Einen ähnlichen Fall hatte ich ja bei den Kröwel v. Frundeck, die total verarmt den Adel ablegten und mit bürgerlichem Namen Kröwel, Krewel von Burg Frundeck nach Münsingen zogen (und sich später dann Münsinger, Mynsinger, Minsinger nannten)


    Vielleicht liegt hier ja eine ähnliche Konstellation vor.


    Viele Grüße
    Herbert


    Viele Grüße


    Herbert Ernst


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  • Hallo Herbert,


    der Verkauf von Herrschaften durch weniger mächtige Familien war durchaus üblich. Dies war immer noch besser als aus einem nichtigen Grund vom besser aufgestellten Nachbarn geschluckt zu werden. Gerade in Schwaben fand um diese Zeit eine Konsolidierung statt. Auf der einen Seite wurden die Städte stärker und auf der anderen standen die Grundherren, die ihre Privilegien nicht aufgeben wollten. Zudem waren in der Zeit des 13/14. Jahrhunderts die Familiennamen durchaus noch nicht so feststehend wie heute. Wenn der Herr Kröwel von Frundeck also seine Herrschaft verkaufte oder verlor, warum sollte dieser Kröwel dann noch von Frundeck genannt werden. Der ursprüngliche Familienname Kröwel blieb nach Verlust der Herrschaft erhalten und wurde zu Kröwel von Münsingen als er dort wohnte. In wieweit er sich selbst so nannte oder von anderen so genannt wurde, läßt sich sicherlich nur durch Urkundenforschung nachweisen. Diese Namensänderungen tauchen auch in späteren Zeiten immer wieder bei etlichen Familien auf. Vor allem bei Familienaus dem süddeutschen Raum, die einen Nachnamen bestehend aus Familiennamen und Stammgut hatten. Hier ändert sich der Herkunftsteil später immer mal wieder, bis sich letztlich der endgültige Familienname durchsetzt. Da der Kröwel oder nachfolgende Generation dann wohl eher einem handfesten Beruf nachging wurden vermutlich spätere Generationen nicht mehr als adlig geführt. Dies bedeutet nicht, dass sie den Adel "abgelegt" haben, Adel ist kein Mantel. Eine Abwanderung in die Stadt war für viele nicht vermögende freie Reichsritter eine Möglichkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gerade im 13. Jahrhundert gab es einige Fehden zwischen den schwäbischen Städten und dem Adel der Region. Besonders die Grafen von Württemberg haben sich hier wohl hervorgetan. Da diese Städte im allgemeinen keine kriegserfahrenen Männer hatten, kauften sie sich welche. Als Hauptleute setzten sie dabei mit Vorliebe Ritter ein, da diese genug Erfahrung hatten. Blieb dieser Ritter über längere Zeit oder gleich ganz in der Stadt, dann passte er sich sicher auch den dortigen Gepflogenheiten an und seine Nachkommen versuchten natürlich sich mit städtischen Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Namensteil nach dem alten Rittergut verschwand dann allmählich, vermutlich war es allen Beteiligten wahrscheinlich auch zu dumm, immer solche langen Namen auszusprechen, wenn der andere auch nichts besseres war.


    Eine ähnliche Abwanderung in die umliegenden Städte kann sich natürlich auch bei den Wehrsteiner zugetragen haben, die im übrigen mit Sicherheit keine Freiherren sondern freie Herren waren. Der Titel Freiherr bürgerte sich erst später ein und wurde bis auf wenige Ausnahmen verliehen.


    Um herauszufinden, ob tatsächlich der eine oder andere Bürger adliger Abstammung war hilft nur Forschung. Auch hier gilt wie schon öfter in diesem Forum geäußert, dass Pferd nicht von hinten aufzäumen, sondern beim Probanden mit der Suche anfangen.


    Viele Grüße


    Dirk
    http://www.genealogie-peters.de

  • Hallo Dirk,


    vielen Dank für den Beitrag und die erläuterten geschichtlichen Zusammenhänge.


    Richtig ist, dass die v. We(h)rstein sogenannte Edelfreie waren. Freiherren ist in der fraglichen Zeit der falsche Begriff.


    Richtig ist auch, dass das Pferd von der richtigen Seite aufgezäunt werden muss, also angefangen beim Probanden nach rückwärts.


    Eben dadurch bin ich ja auf die Kröwel v. Frundeck und angeheiratet auf die v. We(h)rstein gestossen. Und hier hatte ich nun die oben beschriebenen "bürgerlichen" Werstein in Empfingen in der Herrschaft Wehrstein in den Urkundenregesten in den Archiven der Freiherren von Ow entdeckt.


    Und da die Familienforschung für mich weit mehr ist, als eine Ansammlung von Namen - Dein Beitrag zum geschichtlichen Umfeld macht das ja gerade sehr deutlich - wollte ich eben dieser Frage der Verbürgerlichung des ritterlichen Adels im 14. Jahrhundert nachgehen, zumal ich beim mit den v. We(h)rstein verwandten Geschlecht der Kröwel v. Frundeck genau diese Verarmung und in diesem Fall die damit verbundene "Verbürgerlichung" nachvollziehen konnte (wenn auch in der anderen Reihenfolge - vom Probanden aus gesehen). Insofern wäre das die zweite adelige Familie, die dasselbe "Schicksal" teilt. Und bei den wiederum mit den Kröwel v. Frundeck verwandten schwäbischen v. Lichtenstein zeichnet sich etwas später dasselbe ab.


    Insofern werden die allgemeinen geschichtlichen Fakten des Ritteradels in Schwaben im 14. / 15. Jahrhundert, wie sie von Dir ausgeführt wurden, bei mir zum Bestandteil konkreter Familiengeschichte. Dies im konkreten Einzelfall genauer zu beleuchten macht für mich die Faszination der Familienforschung aus.


    Nochmals vielen Dank und freundliche Grüße
    Herbert

    Viele Grüße


    Herbert Ernst


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  • Hallo Herbert,


    zum einen gibt es diese Möglichkeit, die Dirk hier sehr schön anschaulich geschildert hat. Aber es gibt auch Familien, die aus anderen Gründen plötzlich ihren Besitz veräußerten und z.B. trotz mehrerer männlicher Nachkommen, innerhalb einer Generation verschwanden. Nicht selten ließen die Herren Ritter ja in den Fehden auch ihr Leben und übrig blieben plötzlich nur noch die geistlichen Mitglieder der Familie, die wiederum selbst keine Familie gründeten. Dass es auch bei den Wehrstein Geistliche gab, zeigt ja, dass Hiltibold von Wehrstein Abt in St. Gallen war. Und die dritte Möglichkeit ist eben, dass die Familie alles andere als zahlreich war. Wir wissen ja nicht, wie zahlreich die Familie überhaupt war, wieviele davon männlich waren und wieviele überhaupt das Erwachsenenalter erreichten und selbst in der Lage waren, eine Familie zu gründen. Es gibt also diverse Möglichkeiten, wie eine Familie, ob nun Herrschaft oder nicht, einfach verschwand, ob nun tatsächlich abgestorben oder in einem anderen Stand aufgegangen. Nachweislich dieser Familie zugehörig scheint also der 1409 verstorbene Benz v. Wehrstein der letzte zu sein, alles andere wäre reine Spekulation. Die vorhandenen Urkunden die diese Familie belegen, wurden ja ausgewertet, siehe meinen Literaturhinweis.


    Viele Grüße
    Hina

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  • Hallo Hina und Dirk,


    das Rätsel ist gelöst. Der Historiker Casimir Bumiller beschreibt in "Studien zur Sozialgeschichte der Grafschaft Zollern im Spätrmittelalter" Thorbecke Verlag 1990 auf Seite 30 genau jenen Fall der Verbürgerlichung der v. Wehrstein, den ich angesprochen hatte.


    Ich zitiere: "Aus dieser Quelle (Zollerisches Kopialbuch HStASt H 14/15, Bd. 360, fol73f) dürfte unzweifelhaft hervorgehen, daß der letzte bisher bekannte Wersteiner, Junker Benz, mit der Hechinger Bürgertochter Else Müller einen Sohn Martin hatte und dieser Sohn Martin Werstein ist; da seine Mutter und deren Mutter immer zollerische Leibeigene waren, ebenfalls Leibeigener des Grafen Eitelfriedrich.
    Die Familie von Werstein führt uns den wohl steilsten Abstieg einer Adelsfamilie vor Augen, von der hochadeligen Machtposition um 1100 in die Leibeigenschaft um 1400. Belegt diese Familiengeschichte die Entwicklung des Adels im Spätmittelalter besonders drastisch, so liefert sie doch ein sozialgeschichtliches Modell für einen großen Teil des Adels im Umfeld der Grafen von Zollern"


    Soweit Casimir Bumiller. Dasselbe trifft nach meinen weiteren Recherchen für den gesamten schwäbisch-alemannischen Raum zu.


    Eine Stammtafel der Wehrsteiner habe ich zwischenzeitlich auch gefunden: Christian Schwarz: "Die Burg Wehrstein - Herrschafztsmittelpunkt und Sitz von Edelfreien und Grafen" in: Hrsg. Franz Geßler: Vom Eselsturm zur Wehrstein - Burgruinen am Neckarknie bei Horb, Veröffentlichungen des Kultur- und Museumsvereins Horb a.N. e.V. - Folge 16 - Dezember 2006


    Vielen Dank :!: für die fruchtbare Diskussion ;) und beste Grüße

    Viele Grüße


    Herbert Ernst


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  • Hallo Herbert,


    Glückwunsch zur Entschlüsselung des Rätsels. Somit ist die Sache nun nachvollziehbar.
    Allerdings finde ich den Kommentar des Autors nicht sonderlich geglückt, eher sehr irreführend. Hier kann man eigentlich nicht von einem Abstieg einer Adelsfamilie in die Leibeigenschaft sprechen. Wäre Martin Werstein ein eheliches Kind, so wäre auch er adeligen Standes gewesen und nicht leibeigen. Das ist auch unabhängig davon, ob er ebenfalls Werstein hieß oder nicht. Also ist nach wie vor davon auszugehen, dass das adelige Geschlecht Werstein mit dem Junker Benz erlosch, dieser aber einen unehelichen männliche Nachkommen hatte. Dieser war üblicherweise im Stand der Mutter, begründete aber eine neue Familie. Derlei Beispiele gibt es einige, besonders bei den Sprossen adeliger geistlicher Würdenträger. Von einem Abstieg des Adelsgeschlechtes kann aber in solch einem Zusammenhang keine Rede sein. Dass das Adelsgeschlecht Werstein insgesamt aber einen Abstieg von ihrer Machtposition in die Bedeutungslosigkeit vollzog, ist dagegen unzweifelhaft.


    Viele Grüße
    Hina

    "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann