• Kennt sich jemand mit den Spielregeln zur Erbfolge im 18. Jhdt. aus? Ich bin verwirrt, wie ein Hof in Unseburg (südliche Magdeburger Börde) vererbt wurde.


    Die Situation:
    1. Andreas Harnacke hat den Hof an sein ältestes Kind, die Tochter Louise Margareta vererbt, obwohl es lebende Söhne gab.
    2. Sie wiederum vererbte den Hof an das zweite Kind, das sie mit ihrem Mann Johann Christoph Friedrich Niemann hatte, der Tochter Maria Sabine Niemann. Auch das ist wieder merkwürdig: der Hof geht nicht an den lebenden ältesten Sohn aus der Ehe.
    3. Maria Sabine Niemann endlich vererbt den Hof weiter an ihren Mann Johann Andreas Arndt (was mir nun wieder "normal" erscheint).


    Ich habe bislang nur Regeln gefunden, die der hier geschilderten Erbfolge widersprechen (der älteste, manchmal auch der jüngste Sohn erbt, nie scheinen die Töchter erbberechtigt, solange noch Brüder leben). Gab es denn damals schon die Möglichkeit, den Standard per Testament zu umgehen? Wo findet man fundierte Informationen hierzu?

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • moin


    ohne mich wirklich mit der erbfolge auszukennen, fällt mir folgendes ein:
    kann es sein dass die erbberechtigten brüder auf einen anderen hof eingeheiratet haben, der sonst ohne erben bliebe und dadurch die tochter an das erbe kommen konnte?


    schöne grüße

    Nur der frühe Wurm fängt das Bier!

  • Hmmm, ein überlegenswerter Ansatz, daran habe ich noch nicht gedacht. Vielleicht habe ich eine Chance, das nachzuprüfen.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Jörg,


    selbst die heutige Höfeordnung (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6feordnung) geht auf die alte sächsische Erbschaftsregelung zurück, die im sog. Anerbenrecht (siehe http://webcache.googleusercont…nk&gl=de&client=firefox-a) ihren Niederschlag fand. Nach Anerbenrecht wurde der Hof per Gesetz ungeteilt an den erstgeborenen Sohn vererbt; die Geschwister ging leer aus, wenn keine weitere Erbmasse vorhanden war. Diese Regelung ist Dir geläufig. Erbteilung, Pflichterbteile und Auszahlung von Geschwistern gab es damals noch nicht.


    Wohl aber konnte der Erbberechtigte das Hoferbe ausschlagen. Das kam um so häufiger vor, je mickeriger der Hof war. Es konnte sein, daß der Erbberchtigte vor Eintreten des Erbfalls schon längst als Knecht oder gar Verwalter (=Meier) auf einem anderen (zB. bedeutenderen, zB. entfernten) Hof untergekommen war, dort vielleicht sogar eingeheiratet hat (daher die vielen Alias-Namen!).


    Wenn das der Fall war, ging der Erbhof an ein anderes Kind des Erblassers, nicht selten an eine Tochter, die selbst tüchtig war und vielleicht außerdem durch die Erbschaft eine interessante Partie für einen mittellosen, arbeitswilligen Ehe-Bewerber wurde, der dann in diesen Erbhof einheiraten konnte. In diese Richtung gehen die Fälle, die Du beschreibst.


    Gruß
    Detlef

  • Hallo Detlef,


    auch dir Dank für die ausführlichen Erläuterungen.
    Leider sind die mir vorliegenden Informationen zu den lebenden Brüdern der erbenden Töchter sehr dünn - nur Geburtsdaten bekannt. Könnte aber bedeuten, dass sie aus dem Ort weggezogen sind und woanders "ihr Glück" gemacht haben - so wie du es schilderst.
    Da mich der konkrete Fall in seinen Hintergründen interessiert, werde ich mich mal erkundigen, was im LHA Magdeburg evtl. zu finden ist.

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Ich kenne mich in Bezug auf die Magdeburger Börde nicht aus, aber hier im Münsterland erbten sehr häufig auch Töchter den Hof, wenn es Brüder gab.
    Der älteste Sohn bekam auf keinen Fall zwangsläufig den Hof, schon weil er zu der Zeit, wo die Eltern den Hof übergaben und aufs Altenteil gingen, oft zu alt war, um so lange mit einer Heirat zu warten. Für ihn war es günstiger, sich vorher nach einer Einheirat auf einem anderen Hof umzuschauen. Die jüngeren Kinder hatten in Bezug auf das Erbe bessere Chancen, sie bekamen den Hof eher. Die Ältesten erbten natürlich, wenn der Vater relativ früh starb oder nicht mehr gut arbeiten konnte. Auch das kam häufig vor. Es sprach aber auch immer der Grundherr noch mit, wem der Hof übergeben wurde, der musste den Bewerber geeignet finden.
    Weder ein Sohn noch eine Tochter allein konnten einen Hof übernehmen, es gehörte in jedem Fall ein Ehepartner dazu.


    Was deinen konkreten Fall angeht, so kannst du vielleicht den Verbleib der Brüder herausfinden. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie nderswo eingeheiratet hätten.

  • Hallo Rotraud,


    vielen Dank! Das passt genau in die Richtung wie sie Karl und Detlef gewiesen haben.
    Für mich wird das hier immer spannender. Ich denke weil ich es nicht in mein bisheriges Wissen einsortieren kann.
    Und es kommt dazu, dass ich mich mit den "Skelettdaten" unserer Ahnen (*, ≈, oo, †) nicht so gerne zufrieden gebe.
    Alles was da noch "Fleisch auf die Knochen" gibt, ist für mich ein ganz besonderer Erfolg (Das sind so Sachen wie: warum zum Kuckuck ist Maria Katharina von Ostpreußen nach Essen "ausgewandert"? Nur um den ihr unbekannten Friedrich Christoph zu heiraten? Sowas beschäftigt mich manchmal mehr als die Suche nach neuen Leuten
    ^^ ) .
    Leider habe ich erst im November einen Termin in Magdeburg ...
    :wacko:

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Es sprach aber auch immer der Grundherr noch mit, wem der Hof übergeben wurde, der musste den Bewerber geeignet finden.

    Hallo Rotraut,


    vererben konnte und kann man nur als Eigentümer. Der Erblasser eines Hofes war immer der Grundherr selbst. War ein Bauer jedoch nicht Eigentümer, sondern lediglich Besitzer eines Hofes (zB. Pächter), konnte die Weitergabe (nicht Vererbung!) eines Hofes innerhalb der Besitzerfamilie mit Zustimmung des Eigentümers (=Grundherrn) erfolgen.


    Gruß
    Detlef

  • Hallo Detlef, du hast recht, "erben" im eigentlichen Sinne war nicht möglich, da der Hof dem Grundherrn gehörte und die dort lebenden Bauern in der Regel eigenhörig waren. Trotzdem wurde im allgemeinen von "Hoferbe" bzw. "Hoferbin" gesprochen, da die Höfe überwiegend innerhalb der Familie weitergegeben wurden.
    Ob es im Raum Magdeburg eher freie Bauern gab, weiß ich im Moment nicht. Die Art der Weitergabe mag aber ähnlich gewesen sein, zumindest gab es ja offensichtlich keine Erbteilung, sondern eine Übergabe des Hofes an eines der Kinder.

  • Hallo Rotraud und Detlef,


    ich merke, dass ich mich da auf eine Sache einlasse, von der ich (noch :) ) viel zu wenig verstehe. Der wichtige Unterschied zwischen Vererben und Weitergeben eines Hofes war mir nicht bewusst, ist aber für die Nachforschungen sicher ein entscheidender Aspekt.
    Wie die Eigentumsverhältnisse bei den Höfen in dem Dorf waren, weiß ich nicht, muss also geklärt werden.
    Noch einmal vielen Dank euch beiden!

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Jörg,
    ich habe das in der Börde häufiger beobachtet, dass nicht automatisch der älteste Sohn den Hof bekam. Manchmal war es so, dass z.B. die ersten drei bereits woanders eingeheiratet hatten und der vierte Sohn dann den Hof bekam. :)
    Grüße, Daniel

  • Hallo Jörg! Gute Frage!
    Erbfolge in der Börde: bei mir ist sie schon im 16. und 17 Jh. "durcheinder". da erbten auch Töchter, obwohl ältere Brüder vorhanden waren. diese Brüder wurden manchmal (nicht immer) mit Acker abgefunden. 1/4 Acker vor Biere usw. Im 18. Jh. mußte ein Sohn seiner Mutter einen Achtelhof stellen und erhielt in Kleinmühlingen den väterl. Hof. Es wurde auch der schwiegerväterl. Hof gekauft für 1.600 flor, abzügl. Erbteil der Frau. Da finde einer durch! Ich jedenfalls nicht.
    Übrigens, die Atzendorfer Chronik (unsere Schnock/Bedau usw.) besitze ich jetzt auch. :D
    Viele Grüße
    louisa

  • Hallo,


    es gab in den unterschiedlichen Regionen, die das heutige Deutschland bilden (und darüber hinaus) ganz unterschiedliche Erbrechte, die teils wohl noch auf alte früh- oder sogar vormittelalterliche Rechtssysteme zurückgehen.
    In meiner Ecke galt von altersher in der Regel das fränkische Recht der Realteilung - sprich alle lebenden Kinder bzw. deren Nachkommen waren erbberechtigt. Das führte dazu, dass alle "ihren Teil" bekamen. Das Kind (ob Sohn oder Tochter war unerheblich), das den Hof übernahm, musste seine Geschwister bzw. deren Kinder "ausbezahlen". Das Land im Eigenturm (Felder, Gärten) wurde geteilt, so dass die Parzellen immer kleiner wurden, bis sie (nach einem Bevölkerungswachstum im 19. Jh.) kaum noch eine Familie ernährten. (Früher waren durch hohe Kindersterblichkeit und ständige Kriege die Bevölkerung und damit die möglichen Erben immer erheblich reduziert worden.)


    Den "Erbsohn" gab es bei uns nicht, genausowenig wie "die Erbtochter". Dafür gab es immer gerne Hochzeiten unter näher Verwandten, Söhne und Töchter, die "dumm gemacht" wurden, damit sie für potentielle Heiratskanditaten unattraktiv wurden, Familien die sich von ihrem Land nicht mehr ernähren konnten und in die totale Armut abrutschten und Massenauswanderungen nach Brasilien und später in die USA.


    Nur mal so, da die Frage des Erbrechts tatsächlich von Region zu Region gesondert behandelt werden muss. Zur "Börde" kann ich da nichts sagen, möchte nur davor warnen von den Verhältnissen in einer Region auf andere Regionen zu schließen.


    Viele Grüße
    Bärbel