Unterschiede Familienstände

  • Hallo zusammen!


    Ich bin mir im Moment ein wenig unsicher über folgendes Problem und dessen Lösung:


    Auf der standesamtlichen Heiratsurkunde meiner UrUrUrGroßeltern von 1893 aus Dortmund finden sich folgende Wortlaute zu den zum Zwecke der Eheschließung erschienenen Personen:
    "1. der [Beruf] [Vornamen] [Familienname], ledigen Standes" (22 Jahre, Mutter und Vater verstorben)
    "2. die unverehelichte [Beruf] [Vornamen] [Familienname]" (22 Jahre, Vater verstorben, Mutter nicht).


    Besteht jetzt ein Unterschied in dem Familienstand, also, war einer der beiden schon mal verheiratet?
    Warum hat der Standesbeamte die unterschiedlichen Bezeichnungen, also "ledig" und "unverehelicht" verwendet und sich nicht für eine Bezeichnung entschieden?


    Ich habe im Moment die Vermutung, dass ledig ein "Überbegriff" für Menschen ohne Ehepartner sind, bin mir aber nicht sicher. In einer anderen Urkunde von 1900 steht, dass der "[Beruf] [Vorname] [Familienname], ledig" den Tod seiner Ehefrau (52 Jahre, Mutter und Vater verstorben) anzeigte. Er war verheiratet gewesen und zum Zeitpunkt der Anzeige schon von ihr verwitwert. Deshalb wohl ledig, richtig? Wie definiert man das also richtig? ?(


    Kann nochmal jemand Klarheit in meine Gedanken bringen? :)
    Freundliche Grüße


    Julien L. Thiesmann

  • Hallo Julien,


    ich weiß die Antwort auch nicht, vermute aber, daß der Begriff 'ledig' sich auf Männern bezog, und 'unverehelicht' auf Frauen. In der damaligen Auffassung war ein unverheirateter Mann 'ledig', aber 'ledige Frauen' könnte sich vielleicht als frech oder unpassend anhören. Eine Frau 'heiratete' nicht, aber 'wurde verehelicht'. In den damaligen Verhältnissen war der Mann derjenige, der heiratete, und die Frau diejenige, die 'verehelicht wurde'. Könnte sein, daß deshalb der Standesbeambte sich nicht für eine Bezeichnung entscheiden könnte. Heute sind Männer und Frauen gleichberechtigt, aber 1893 herrschten andere Vorstellungen vor.


    Vielleicht haben andere bessere Vorschläge!


    Gruß,
    Frits


    http://www.stoffelswebworld.com

  • Hallo Frits,


    da kann ich Dir nur beipflichten für deine Erklärung, zumal ja bei einer "ledigen" Frau immer noch ein gewisser Makel hinzu kommt, sie könnte "ledige Mutter" gewesen sein. Diese Schreibweise ist mir auch schon vielfach untergekommen, ich verkarte KB, aber so richtig Gedanken habe ich mir dabei allerdings auch noch nicht gemacht.


    Viele Grüße und einen schönen Wochenanfang
    Harald

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    VG vom Deisterrand :thumbup:
    Harald

  • Hallo


    Standesbeamte und Kirchenbuchführer haben mit Ihrem Eintragungen immer schonmal mehr sagen wollen, als sie geschrieben haben.
    Ledig war damals gleich jungfräulich oder sollte es zu mindest sein und beim Mann sollte das auch so sein.
    'Unverehelicht' bedeutet das die Dame nicht verheiratet war. Nun kann es ja sein, das der Standesbeamte "aus persönlicher Kenntniss" wurste das die Braut schon einmal mit einem Mann zusammen gelebt hat oder der Standesbeamte glaubt daran.


    Vielleicht war ihm die Dame aber auch nur zu selbstsicher. Dumm es gibt es keine Zeugen.

  • Hallo zusammen!


    Trotz allem bleibt es doch, vom Gefühlsaspekt her, merkwürdig, daß ein Ehemann, der den Tod seiner Ehefrau meldet, sofort als 'ledig' charakterisiert wird!


    Ja, als ich den ersten Satz des Textes der Sterbeurkunde zum ersten Mal gelesen hatte, war ich auch ein wenig geschockt und musste schlucken.
    Der Standesbeamte beschreibt ja schließlich nichts anderes als dass der Maurer Christian Pfeil, ledig, vor diesem erschien und anzeigte, dass seine Ehefrau verstorben sei.


    Vor allem hat er es (zumindest ja laut Text der Urkunde) ihm dann noch mal vorgelesen, das was er da aufgeschrieben hatte, damit Christian Pfeil es genehmigte und unterschrieb. Und dann hört es sich schon ganz schön hart an, die Realität. Er bekommt es noch einmal vor Augen geführt, dass seine Ehefrau - im Alter von 52 Jahren - nun verstorben war. Als ob er das noch nicht selbst verstanden oder realisiert gehabt hätte!



    Und zu der Aussage von Frits und Harald fiel mir noch ein, dass ich eine Heiratsurkunde, ebenfalls aus Dortmund, von 1920 habe, in der hinter den Berufen und Namen der Eheleute auch der Stand - bei beiden! - mit "ledig" angegeben wurde. War das dann 1920 mit der Gleichberechtigung bezüglich dieser Familienstandsbezeichnungen bei Mann und Frau schon anders?
    Laut Wikipedia müsste es, wenn ich das richtig verstehe, zu den Zeitpunkten die gleiche gesetzliche Regelung gewesen sein (siehe Wikipedia-Artikel zur Gleichberechtigung in Deutschland), oder?


    Julien L. Thiesmann

  • Hallo Julien,

    Er war verheiratet gewesen und zum Zeitpunkt der Anzeige schon von ihr verwitwert

    als ich dein Startposting las, dachte ich spontan an einen Übertragungs- oder Lesefehler. War der Mann evtl. geschieden und zeigte den Tod seiner Ex an? Das würde ein "ledig" erklären.
    Bei solchen Sterbeeintragungen in KB oder vom Standesamt ist mir eine derartige Angabe des Familienstandes des / der Hinterbliebenen noch nicht untergekommen, da steht "nie" ;) eine Familienstand, nicht mal "verwitwet".


    Frits' Aussage zum Unterschied "ledig" / "unverehelicht" für Männer / Frauen kann ich nur zustimmen.
    Allerdings glaube ich nicht an die von einigen angeführten Hintergründe, ich denke, die sind zu sehr aus unserer heutigen Sicht.
    Für wesentlich wahrscheinlicher halte ich aber diese Aussage:

    In den damaligen Verhältnissen war der Mann derjenige, der heiratete, und die Frau diejenige, die 'verehelicht wurde'

    Freundliche Grüße
    Jörg


    Berlin und Umgebung: Mohr, Hartung, Zienicke, Krusnick, Grünack, Linto (vor 1750); Magdeburger Börde (rund um Egeln, etwa 1600 - 1800)
    Gera: Dix (vor 1740); Wunstorf: Brandes, Steinmann (vor 1800), Hildesheim: Michael (vor 1800); Gönningen (und Umgebung, vor 1650)

  • Hallo Jörg,
    sicher ist es vielleicht nicht ganz üblich, dass der den Tod der eigenen Ehfrau anzeigende Mann als ledig beschrieben wird, aber verständlich und logisch ist es doch durchaus und falsch auch nicht!


    Wenn Person X und Person Y verheiratet sind und plötzlich Y zu Hause stirbt, dann wird X das wohl mitbekommen haben. Dann geht X am nächsten Tag zum Standesamt und meldet den Sterbefall. Und weil Y verstorben ist hat X ja jetzt keinen Ehepartner mehr! Das ist ja ganz klar. X ist seit der Minute oder Sekunde des Todes von Y Witwe bzw. Witwer von Y. Deshalb ist es ja durchaus nicht falsch, dass er vom Standesamt richtigerweise als ledig, als Witwer von Y oder nur als verwitwe(r)t angesehen wird. - Nach standesamtlicher Genauigkeit hätte er meiner Meinung nach zwar eigentlich erst nach der Ausstellung der Sterbeurkunde so tituliert werden können, aber gut... -


    Die Erklärung von Frits ist ja dann wohl sehr verständlich und einleuchtend. Also Männer in früherer Zeit: "ledig" und Frauen: unverehelicht. => Beides hat die gleiche Bedeutung, beides umfasst die gleichen familiären Stand, Bezeichnung ist halt nur geschlechtsbedingt.


    Unter der Interpretation von baer1955 konnte ich mir auch etwas vorstellen, auch wenn ich es auch für unwahrscheinlich halte, dass die Standesbeamten bei ihren Tätigkeiten im Auftrag des Staates, also im Rechtswesen, noch in die Personen Eigenschaften "hereininterpretiert" haben bzw. konnten. Denn die "unverehelichte Näherin" trug den 1. Vornamen und Rufnamen "Bernhardine" und aus onomastischer Sicht, wenn man also den Namen übersetzt, erhält man die Bedeutung "die Bärenstarke" oder "fest entschlossene(r) Bär(in)". Name und Persönlichkeit machen bei der Erscheinung meiner Meinung nach ja auch immer etwas her.


    Vielen Dank
    Julien L. Thiesmann