Abweichung von der Regel? Zwei erstgeborene Adelssöhne als Deutschordensritter (um 1614)

  • Hallo allerseits,


    "normalerweise" bin ich bisher davon ausgegangen, dass bei Adelsfamilien jeweils die erstgeborenen Söhne als Haupterben galten und heirateten, während jüngere männliche Familienmitglieder (um das Erbe nicht all zu sehr zu zersplittern) gerne mal mit geistlichen Ämtern "versorgt" wurden (wenn sie es nicht vorzogen, sich beispielsweise als Söldner zu verdingen und ein eigenes Vermögen aufzubauen).


    Normalerweise...


    Ich wusste bisher schon von meinem Vorfahren Arndt v. Sandow (Deutschordenscomtur zu Langeln am Harz), dass er von dieser Regel abwich: er selbst wurde Deutschordensritter (und durfte entsprechend nicht heiraten, war aber "versorgt") und sein jüngerer Bruder war derjenige, der heiratete (allerdings im konkreten Fall, ohne überlebenden Nachwuchs zustande zu bringen, was meinem Vorfahren trotz "Keuschheitsgelübde" gelang).


    Gestern habe ich mich mal mit einem der engsten "Kollegen" meines Vorfahren beschäftigt (sie waren wohl auch miteinander befreundet), nämlich mit Ludolph Klencke (Comtur der Kommende Göttingen). Auch dieser war ein "ältester Sohn" und hätte (ganz im Gegensatz zu meinem Vorfahren, dessen Familie stark verschuldet war) sogar richtig viel zu erben gehabt.


    Wohl gemerkt: beide waren "älteste Söhne", die - statt die Linie fortzusetzen - lieber ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben. Ludolph Klencke hat dafür freiwillig auf ein Vermögen verzichtet (das Schloss und die Liegenschaften der Familie werden bis heute jeweils nur an ein einzelnes Familienmitglied weiter vererbt), wärend mein Vorfahre gemeinsam mit seinem Bruder geerbt hat (es gab praktischerweise zwei Rittergüter)...


    Nun weiß ich von bäuerlichen Familien im Raum Halberstadt, dass es da üblich war, dass der jeweils jüngste (aber bereits erwachsene) Sohn den Hof geerbt hat und seine Geschwister nach und nach "auszahlen" musste. Könnte es bei Adligen ähnliche Tendenzen gegeben haben?


    Oder muss man davon ausgehen, dass Arndt und Ludolph Ausnahmen von der Regel waren, die sich aus persönlichen Gründen zum Deutschen Orden hingezogen gefühlt haben?


    Ich bin gespannt auf eure Rückmeldungen und Ideen!


    Grüße
    Giacomo



    P.S.: ein möglicherweise noch interessantes Details: der Vater meines Vorfahren war spannenderweise ein jüngerer Sohn, dessen älterer Bruder (aus welchen Gründen auch immer) anscheinend gleichfalls nicht verheiratet war, was ja fast wirklich so wirkt, als habe es da eine Regel gegeben...

    IRGENDWIE sind wir doch ALLE miteinander verwandt... ;)

  • Hallo Giacomo,


    wenn es eine gesetzliche Erbfolge schon immer gab, dann sind Deine geschilderten Fälle wohl die Ausnahmen.
    Du schreibst ja, Deine Vorfahren waren stark verschuldet.
    Da liegt es nahe, dem ältesten Sohn im Ordensstand ein gutes Auskommen zu ermöglichen. (Das erklärt vielleicht auch Dein P.S.) Das abgelegte Versprechen untersagte doch nur die Ehe, alles andere wurde gebilligt. Dass der Bruder keine Nachkommen haben würde, konnte man ja nicht wissen.


    Der Fall bei Deinem Kollegen liegt da anders. War der älteste Sohn schwach und kränklich? Wurde ihm das Amt des Nachfolgers nicht zugetraut?


    Und ob sie „lieber“ ein Keuschheitsgelübde ablegten, oder doch vom Vaters dazu gedrängt wurden?
    Perspektiven im Ordensstand gab es ja durchaus.


    Studiere doch mal die Stammbäume des Adels aus dem 16./ 17. Jahrhundert, auf die Besonderheit der erstgeborenen Söhne.


    Viele Grüße, Ursula

    Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Ich gieß Wasser zur Suppe und heiß alle willkommen.


    Viele Grüße, Ursula

  • Hallo Giacomo,


    mir scheint, Du beschreibst den Unterschied zwischen weltlichen und geistlichen Rittern. Die mehrstufige Ausbildung der Knappen (ab dem 7. Lebenjahr) führte schließlich durch Ritterschlag oder Schwertleite zum weltlichen Ritterstand. Geistig oder vor allem körperlich weniger geeignete Ritter-Söhne wurden oft geistliche Ritter (weshalb sich die Geistlichkeit beschwerte). Katholische Ordensmänner lebten zölibatär.
    Vor diesem Hintergrund mag es sein, dass jüngere Nachkommen in der Erbfolge ihren älteren zölibatären Geschwistern gegenüber - abweichend von der sonst üblichen Erstgeborenen-Regel - bevorzugt wurden.


    Gruß
    Detlef

  • Hallo Ursula, hallo Detlef,


    ich neige eher dazu, an Ursulas Vorstellung zu glauben, wenn auch in Bezug zu Ludolph Klencke mit einer gewissen Einschränkung (gerade bei ihm könnte ich mir eine besondere persönliche Motivation vorstellen):


    - im Fall meines Vorfahren scheint der Fall so gelegen zu haben, dass er irgendwie mit führenden Leuten der Deutschordensballei Sachsen verwandt war (er bezeichnete zwei seiner Vorgesetzten in seinen Briefen jeweils auch als "Vetter") und sein jüngerer Bruder hat sich nachweislich zeitweise in seiner Umgebung aufgehalten und dort auch geheiratet (was darauf hindeuten könnte, dass er mit seinem schon recht gut abgesicherten Aufstieg den Rest seiner Familie "mitreißen" sollte - auch eine seiner Schwestern hat in die Region eingeheiratet). Sein jüngerer Bruder scheint dagegen ein ziemlicher "Hallodri" gewesen sein (u.a. hat sein Vater im Erbvertrag mit seinen Söhnen ihm gegenüber angemahnt, er müsse seinen Verpflichtungen deutlich besser nachkommen, als bisher; überdies hatte er angeblich den Ruf eines ausgesprochenen "Weiberhelden") und könnte auch deshalb für den Deutschen Orden weniger infrage gekommen sein, als mein Vorfahre.


    - im Fall seines Kollegen Ludolph Klencke bin ich etwas gespalten, was meine Einschätzung betrifft: ich weiß von Ludolph Klencke, dass er sehr "starke" und gebildete Eltern hatte (auch die Mutter war eine gebildete Frau!) und könnte mir vorstellen, dass sein Weg in den Orden in gewisser Weise auch eine Flucht vor deren Ansprüchen dargestellet haben könnte. Aus einer zeitgenössischen Beurteilung über ihn (da war er schon Comtur zu Göttingen) wird er als "gelahrter und versuchter Herr" bezeichnet, was für mich jedenfalls nicht nach Unfähigkeit klingt, wenn auch mein Vorfahre in der gleichen Beurteilung (anscheinend durch einem Vertreter der Ordenszentrale, nicht durch seine direkten Vorgesetzten) um einiges besser weggekommen ist.
    Auf Ludolphs "Flucht vor der Familie" könnte auch hindeuten, dass seine Mutter in den ersten Jahren des 30jährigen Krieges geschworen haben soll "Hämelschenburg wird nie katholisch" (sie war eine äußerst strenge Protestantin) - und ausgerechnet ihr ältester Sohn entwickelte sich allem Anschein nach als Deutschordenscomtur zu einem heimlichen KATHOLIKEN (was aber anscheinend ordensintern kein echtes Geheimnis war)!


    Von Deutschordensrittern der damaligen Zeit wurde außer einer einwandfreien Herkunft u.a. erwartet, dass sie körperlich und geistig fit sein mussten: sie mussten das nicht nur selbst beschwören, sondern auch Bürgen dafür benennen, die das durch Eid bestätigt haben (wobei im Prinzip auch auf Schuldenfreiheit wert gelegt wurde - meine Vorfahrenfamilie scheint damals immerhin zumindest noch in der Lage gewesen zu sein, ihre Schulden zu bedienen, was später (nach der Zerstörung ihrer Güter durch katholische Truppen) deutlich schwieriger wurde). So weit ich es anhand meiner Quellenstudien beurteilen kann, saßen gerade in der Ballei Sachsen damals auch tatsächlich fähige Leute.

    IRGENDWIE sind wir doch ALLE miteinander verwandt... ;)